Gottes Werk und Teufels Beitrag
habe Augen«, sagte Melony. »Ich kann sehen, wie es ist – es ist Scheiße. Es ist ganz gewöhnliche Mittelschichtsscheiße – untreu sein und die Kinder anlügen. Ausgerechnet du!« sagte Melony. Sie hatte ihre Hände in die Taschen gesteckt; sie zog sie heraus und verschränkte sie hinter dem Rücken; dann stieß sie sie wieder in die Taschen. Bei jeder Bewegung ihrer Hände zuckte Homer zusammen.
Homer Wells war auf einen Angriff von ihr gefaßt gewesen; Melony war eine Angreiferin; aber diesen Angriff hatte er nicht erwartet. Er hatte gedacht, er würde ihr – eines Tages, wenn er sie wiedersähe – ebenbürtig sein, aber jetzt wußte er, daß er Melony niemals ebenbürtig sein würde.
»Glaubst du, ich reiß mir ein Bein aus, um dich in Verlegenheit zu bringen?« fragte ihn Melony. »Glaubst du, ich habe immer nach dir gesucht – nur um dir das Leben schwerzumachen?«
»Ich wußte nicht, daß du nach mir gesucht hast«, sagte Homer Wells.
»Ich habe dich völlig falsch eingeschätzt«, sagte Melony. Während er Melony anschaute, erkannte Homer, daß auch er Melony völlig falsch eingeschätzt hatte. »Ich glaubte immer, du würdest am Ende werden wie der alte Herr.«
»Wie Larch?« fragte Homer.
»Natürlich wie Larch!« bellte Melony ihn an. »So hatte ich dich eingeschätzt – weißt du, der Missionar. Der gute Mensch mit der Nase hoch in der Luft.«
»Ganz so sehe ich Larch nicht«, sagte Homer.
»Werde nicht rotzig zu mir!« schrie Melony. Tränen liefen über ihr grobes Gesicht. »Du trägst die Nase hoch in der Luft – diesen Teil hab ich richtig verstanden. Aber du bist nicht gerade ein Missionar. Du bist ein Kriecher. Du hast eine dick gemacht, die du von vornherein nicht hättest bumsen sollen, und du hast das nicht mal bei deinem eigenen Kind klargekriegt. Schöner Missionar! Ist das nicht tapfer? Für meine Begriffe, Sonnenstrahl, ist das ein Kriecher.«
Dann ging sie raus; sie fragte ihn nicht wegen Arbeit; er kam gar nicht dazu, sie zu fragen, wie ihr Leben gewesen war.
Er ging hinauf ins Badezimmer und übergab sich; er füllte das Waschbecken mit kaltem Wasser und tauchte seinen Kopf ein, aber das Pochen ließ nicht nach. Einhundertsiebenundfünfzig Pfund Wahrheit hatten ihn ins Gesicht geschlagen und gegen Nacken und Brust – hatten ihm den Atem eingeschnürt und Kopfschmerzen verursacht. In seinem Mund hatte er den Geschmack nach Erbrochenem; er versuchte sich die Zähne zu putzen und schnitt sich in die Hand, bevor er die Klinge sah. Er fühlte sich oberhalb der Taille beinah so gelähmt, wie Wally sich unterhalb fühlen mußte. Als er zum Handtuch neben der Duschkabine griff, sah er, was sonst noch nicht stimmte, er sah, was im Badezimmer fehlte: der leere Fragebogen, der eine, den er nie an den Treuhänderausschuß von St. Cloud’s zurückgesandt hatte, war verschwunden. Homer Wells brauchte nicht lange, um sich auszumalen, wie Melony manche der Fragen beantworten würde.
Diese neuerliche Panik hob ihn für einen Augenblick über sein eigenes Selbstmitleid hinaus. Er rief sofort das Waisenhaus an und bekam Schwester Edna ans Telephon.
»Oh, Homer!« schrie sie vor Freude, seine Stimme zu hören.
»Es ist wichtig«, sagte er ihr. »Ich habe Melony gesehen.«
»Oh, Melony!« schrie Schwester Edna fröhlich. »Missus Grogan wird entzückt sein!«
»Melony hat ein Exemplar des Fragebogens«, sagte Homer. »Bitte sagen Sie es Dr. Larch – ich glaube, das ist keine gute Nachricht. Dieser alte Fragebogen vom Treuhänderausschuß.«
»Ach, du liebe Güte«, sagte Schwester Edna.
»Natürlich füllt sie ihn vielleicht gar nicht aus«, sagte Homer, »aber sie hat ihn – da steht, wohin man ihn schikken soll, direkt auf dem Ding. Und ich weiß nicht, wohin sie verschwunden ist; ich weiß nicht, woher sie gekommen ist.«
»War sie verheiratet?« fragte Schwester Edna. »War sie glücklich?«
Herr im Himmel, dachte Homer Wells. Schwester Edna brüllte immer ins Telephon; sie war so alt, daß sie sich noch zu gut an die Zeiten mit den schlechten Verbindungen erinnerte.
»Sagen Sie Dr. Larch nur, daß Melony den Fragebogen hat. Ich dachte, er sollte es wissen«, sagte Homer Wells.
»Ja, ja!« brüllte Schwester Edna. »Aber, war sie glücklich?«
»Ich glaube nicht«, sagte Homer.
»Ach, du liebe Güte.«
»Ich dachte, sie bliebe zum Abendessen«, sagte Wally, als er den Schwertfisch zerteilte.
»Ich dachte, sie sucht Arbeit«, sagte Angel.
»Was ist aus ihr
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