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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Schwierigkeiten haben als Melony, eine Mitfahrgelegenheit zu finden – und Melony fand immer Mitfahrgelegenheiten. Mr. Rose sollte seine beinah buddhistische Sitzhaltung beibehalten; er hielt es bis nach Mittag durch, sich nicht zu bewegen, aber am Spätnachmittag bat er Black Pan, ihm etwas Wasser zu bringen, und als die Männer mit Pflücken fertig waren, rief er Muddy zu sich. Muddy war ganz verängstigt, aber er ging doch zu Mr. Rose hin und blieb in einem Abstand von etwa sechs Fuß vor ihm stehen.
    »Wo ist dein Messer, Muddy?« fragte Mr. Rose ihn. »Hast du es verloren?«
    »Ich hab’s nicht verloren«, sagte Muddy. »Aber ich kann’s nicht finden«, fügte er hinzu.
    »Es ist in der Nähe, meinst du«, fragte Mr. Rose. »Es ist irgendwo in der Nähe, aber du weißt nicht, wo.«
    »Ich weiß nicht, wo es ist«, gestand Muddy.
    »Hat dir ohnehin nichts genützt – was?«
    »Ich habe nie etwas anfangen können damit«, gestand Muddy. Es war ein kalter Spätnachmittag, ohne Sonne, aber Muddy schwitzte; seine Hände baumelten an beiden Seiten herab wie tote Fische.
    »Woher hatte sie das Messer, Muddy?« fragte Mr. Rose.
    »Welches Messer?« fragte ihn Muddy.
    »Es sah aus wie dein Messer – was ich gesehen habe«, sagte Mr. Rose.
    »Ich habe es ihr gegeben«, gestand Muddy.
    »Danke, daß du das getan hast, Muddy«, sagte Mr. Rose. »Wenn sie mit dem Daumen gefahren ist, bin ich froh, daß sie ein Messer bei sich hat.«
    »Peaches!« kreischte Muddy. »Lauf, hol Homer!« Peaches kam aus dem Ciderhaus und starrte auf Mr. Rose, der keinen Muskel regte. Mr. Rose sah Peaches gar nicht an. »Black Pan!« kreischte Muddy, während Peaches davonrannte, um Homer zu holen. Black Pan kam aus dem Ciderhaus, und er und Muddy knieten sich nieder und starrten gemeinsam Mr. Rose an.
    »Bleibt ihr ganz ruhig«, empfahl Mr. Rose ihnen. »Ihr kommt zu spät«, sagte er zu ihnen. »Jetzt wird sie niemand mehr einholen. Sie hatte den ganzen Tag, um wegzukommen«, sagte Mr. Rose stolz.
    »Wo hat sie Sie erwischt?« fragte Muddy Mr. Rose, aber weder er noch Black Pan wagten es, unter der Decke herumzutasten. Sie starrten nur auf Mr. Roses Augen und auf seine trockenen Lippen.
    »Sie ist gut mit dem Messer – sie ist besser damit, als du jemals sein wirst!« sagte Mr. Rose zu Muddy.
    »Ich weiß, daß sie gut ist«, sagte Muddy.
    »Sie ist beinah die Beste«, sagte Mr. Rose. »Und wer hat’s ihr beigebracht?« fragte er die Männer.
    »Das haben Sie getan«, sagten sie zu ihm.
    »Das ist richtig«, sagte Mr. Rose. »Das ist der Grund, warum sie beinah so gut ist wie ich.« Ganz langsam, ohne sich irgendwo zu entblößen – und weiterhin unter der Dekke verhüllt, bis auf sein Gesicht –, rollte sich Mr. Rose zur Seite und zog seine Knie an die Brust. »Ich bin wirklich müde vom Aufrechtsitzen«, sagte er zu Muddy und Black Pan. »Ich werde langsam schläfrig.«
    »Wo hat sie Sie erwischt?« fragte Muddy ihn abermals.
    »Ich dachte nicht, daß es so lange dauern würde«, sagte Mr. Rose. »Es dauerte den ganzen Tag, dabei fühlte es sich an, als würde es ziemlich schnell gehen.«
    Alle Männer standen um ihn herum, als Homer Wells und Peaches im Jeep eintrafen. Mr. Rose konnte kaum noch sprechen, als Homer dazutrat.
    »Auch du hast die Regeln gebrochen, Homer«, flüsterte Mr. Rose ihm zu. »Sag, daß du weißt, wie ich mich fühle.«
    »Ich weiß, wie Sie sich fühlen«, sagte Homer Wells.
    »Richtig«, sagte Mr. Rose grinsend.
    Das Messer war in den rechten oberen Quadranten eingedrungen, nahe beim Rippenbogen. Homer wußte, daß ein aufwärts eingetriebenes Messer eine beträchtliche Leberverletzung bewirken mußte, die – in mäßigen Mengen – weiterbluten konnte, viele Stunden lang. Mr. Rose hatte vielleicht mehrmals aufgehört zu bluten und wieder angefangen. In den meisten Fällen blutet eine Leberstichwunde sehr langsam.
    Mr. Rose starb in Homers Armen, bevor Candy und Angel beim Ciderhaus eintrafen, aber lange nachdem seine Tochter ihre Flucht bewerkstelligt hatte. Mr. Rose hatte es geschafft, die Klinge seines eigenen Messers in seine Wunde zu tauchen. Ganz zum Schluß sagte er zu Homer, daß es den Behörden klar sein müsse, daß er sich selbst erstochen habe. Wenn er sich nicht hätte umbringen wollen, warum hätte er sich verbluten lassen an einer nicht unbedingt tödlichen Wunde?
    »Meine Tochter ist weggelaufen«, sagte Mr. Rose zu ihnen allen. »Und ich bin so traurig, daß ich mich erstochen habe. Ihr

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