Gottes Werk und Teufels Beitrag
daran«, riet ihm die Frau.
»Richtig«, sagte Homer. Er streifte mit seinem Ohr ganz leicht ihren Bauch, aber sie drückte sein Gesicht fest an sich; sie war wie eine Trommel – lauter Pings! und Pongs! Sie war wie ein warmer Motor, der abgeschaltet ist, aber immer noch vor Hitze pocht. Wäre Homer je am Meer gewesen, dann hätte er erkannt, daß sie wie die Gezeiten war, wie die Brandung – ein und aus flutend, vor und zurück.
»Niemand sollte ein Baby bekommen, wenn es niemanden gibt, der mit seinem Kopf dort unten einschlafen will«, flüsterte die Frau und klopfte auf die Stelle, wo sie Homers Gesicht grob festhielt. Wo genau? fragte sich Homer, weil es keine bequeme Stelle gab, wohin er seinen Kopf legen konnte, keine Stelle zwischen ihren Brüsten und ihrem Bauch, die nicht rund gewesen wäre. Ihre Brüste zumindest schienen bequem, aber dort wollte sie seinen Kopf ja nicht haben. Nach all den Geräuschen und Bewegungen in ihr konnte er sich kaum vorstellen, daß die Frau nur ein Baby in sich trug. Nach Homer Wells’ Gefühl würde die Frau eine ganze Horde Babys gebären.
»Du möchtest dich doch nützlich machen?« fragte ihn die Frau, jetzt leise weinend.
»Ja. Nützlich machen«, sagte er.
»Schlaf hier ein«, befahl ihm die Frau. Er tat so, als schliefe er, mit seinem Gesicht an dem rumpelnden Felsen, wo sie ihn geborgen hielt. Er wußte, wann ihr Fruchtwasser geborsten war, bevor sie es wußte – so fest war sie eingeschlafen. Er erhob sich und holte Schwester Edna, ohne die Frau zu wecken, die vor Tagesanbruch ein siebenpfündiges Mädchen gebar. Nachdem weder Schwester Edna noch Schwester Angela zuständig waren, den Waisenmädchen Namen zu geben, gab irgend jemand anders ihr nach ein paar Tagen einen Namen – wahrscheinlich Mrs. Grogan, die irische Namen bevorzugte, oder, falls Mrs. Grogan ihren Vorrat momentan erschöpft hatte, die Sekretärin, die so schlecht tippte und für »Melony« statt »Melody« verantwortlich war; auch sie fand Spaß daran, den kleinen Mädchen Namen zu geben.
Homer Wells sollte nie erfahren, wer sie war, aber er hörte nicht auf, nach ihr zu suchen, als habe seine Nachtwache mit dem Gesicht auf dem pochenden Bauch der Mutter ihm den nötigen siebten Sinn geschenkt, um das Kind wiederzuerkennen.
Er sollte sie natürlich nie wiedererkennen. Das einzige, woran er sich halten konnte, waren die flüssigen Geräusche von ihr, und die Art, wie sie sich unter seinem Ohr im Dunkel geregt hatte. Aber er suchte weiter; er beobachtete die Mädchen in der Mädchenabteilung, als würde sie sich notgedrungen irgendwie verraten.
Einmal gestand er sein heimliches Spiel sogar Melony ein, aber Melony höhnte, wie immer. »Was soll die Kleine denn tun, damit du sicher bist, daß sie es ist?« fragte Melony. »Soll sie glucksen, furzen – oder dir eine Ohrfeige verpassen?«
Aber Homer Wells wußte, daß er das Spiel nur für und mit sich selbst spielte; Waisen sind bekannt für ihre Gedankenspiele. Eines der ältesten Spiele, zum Beispiel, das Waisen spielen, ist, sich vorzustellen, daß ihre Eltern sie wiederhaben wollen – daß ihre Eltern nach ihnen suchen. Aber Homer hatte einen Abend mit der Mutter des mysteriösen Babys verbracht; er hatte alles über den Vater des mysteriösen Babys erfahren – und über sein krasses Desinteresse. Homer wußte, daß die Eltern der mysteriösen Kleinen nicht nach ihr suchten; vielleicht war dies der Grund, warum er nach ihr suchte. Wenn diese Kleine heranwuchs, und wenn sie das alte Spiel der Waisen spielte, wäre es dann nicht besser, wenn es wenigstens irgend jemand gegeben hatte, der nach ihr suchte – und sei es auch nur eine Waise?
Dr. Larch versuchte mit Homer über Melonys Wut zu sprechen.
»Wut ist eine spaßige Sache«, fing Dr. Larch an, obschon Wut für ihn alles andere als spaßig war.
»Ich meine, ich gebe zu, die Passage mit den ›Sonnenstrahlen‹ – die ist albern«, sagte Homer. »Das ist eine von diesen Sachen, da zuckt man zusammen, wenn man es liest, aber es ist genau das, was Jane sagen würde, es ist ganz typisch für sie, also, was soll man machen?« fragte Homer. »Aber Melony wurde gewalttätig deswegen.«
Dr. Larch wußte, daß Melony eine der wenigen Waisen in St. Cloud’s war, die nicht in St. Cloud’s geboren waren. Als Vier- oder Fünfjährige war sie eines frühen Morgens an der Spitalpforte ausgesetzt worden; sie war immer groß für ihr Alter gewesen, so daß man schwer sagen konnte, wie
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