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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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sagen zu hören«, sagte Mrs. Grogan.
    »Sonnenstrahlen?« sagte Melony aufheulend. Die kleineren Mädchen krochen indessen unter ihre Bettdecken; manche begannen zu weinen.
    »Ich weiß nicht, wie ich diesen Schmerz weiterhin ertragen kann, Melony«, klagte Mrs. Grogan.
    Homer Wells stahl sich fort. Es war ohnehin der Schluß des Kapitels. Er wurde in der Knabenabteilung erwartet. Diesmal war das Gekicher, das seinen Abgang begleitete, vermischt mit Schluchzen und Melonys Höhnen.
    »Sonnenstrahl!« schrie Melony ihm nach.
    »Wie das uns allen weh tut«, sagte Mrs. Grogan energischer.
    Draußen schien die Nacht für Homer Wells von neuen Gerüchen erfüllt. War das etwa ein Schwall vulgären Parfüms, der von dem einstigen Hurenhotel herüberwehte und sich mit dem Duft des Sägemehls und der stinkenden Zigarren vermengte? Und etwas wie Schweiß aus dem Bingo-für-Geld-Salon? Selbst der Fluß verströmte einen Geruch.
    In der Knabenabteilung erwarteten sie ihn bereits. Manche der Kleineren waren schon eingeschlafen. Die anderen saßen da mit weitaufgesperrten Augen – und weitaufgesperrten Mündern, wie Vogelküken; Homer kam es so vor, als husche er von Nest zu Nest und füttere sie mit seiner Stimme, während sie nach immer mehr schrien. Sein Vorlesen machte sie schläfrig, wie eine Mahlzeit, ihn selbst aber machte es oft wach. Nach dem abendlichen Segenswunsch lag er meistens noch lange wach – das inzen in »Prinzen« und das igen in »Königen« klangen noch im dunklen Raum nach. Manchmal wünschte er sich, er könnte im Babyzimmer schlafen; das dauernde Aufwachen und Weinen dort wäre vielleicht rhythmischer.
    Die älteren Waisen hatten ihre irritierenden Gewohnheiten. Einer von Schwester Ednas John Wilburs schlief auf einem Gummilaken; Homer lag oft wach und wartete darauf, zu hören, wie er ins Bett näßte. In manchen Nächten weckte Homer das Kind, marschierte mit ihm zur Toilette, hielt seinen winzigen Pimmel in die richtige Richtung und flüsterte: »Pipi, John Wilbur. Pipi jetzt. Pipi hier.« Das Kind schlief im Stehen weiter, hielt sein Pipi zurück und sparte es für das aufnahmefreundliche Gummilaken auf, für die vertraute Mulde und die warme Pfütze im Bett.
    Manche Nächte, wenn er sich gereizt fühlte, stellte sich Homer Wells einfach neben John Wilburs Bett und flüsterte dem Jungen seinen Befehl ins Ohr: »Pipi!« Mit beinah augenblicklichem Erfolg!
    Besorgniserregender war Schwester Angelas Namenskind, der kränkliche kleine Fuzzy Stone. Fuzzy hatte Husten, einen dauernden trockenen Reizhusten. Er hatte tränende, gerötete Augen. Er schlief in einem Dampfzelt; das batteriegetriebene Wasserrad lief die ganze Nacht, ebenso der Ventilator, der den Dampf verteilte. Fuzzy Stones Brust hörte sich an wie ein stotternder kleiner Motor; die feuchten kühlen Laken, die ihn umhüllten, flatterten durch die Nacht wie das Gewebe einer riesigen, halb durchsichtigen Lunge. Das Wasserrad, der Ventilator und Fuzzy Stones tragisches Keuchen verschmolzen in Homers Gedanken. Falls eines der drei aussetzen sollte, hätte Homer nicht sagen können, welche zwei noch am Leben waren.
    Dr. Larch erzählte Homer, Fuzzy Stone habe vermutlich eine Sägestauballergie; daß der Junge in einer ehemaligen Sägemühle geboren wurde und dort geschlafen hatte, war zweifellos nicht zu seinem Besten. Ein Kind mit chronischer Bronchitis wollte niemand adoptieren. Wer holte sich schon gern einen Husten ins Haus?
    Wenn Fuzzy Stone für Homer Wells’ Begriffe zu sehr hustete, wenn die verschiedenen Maschinen, die sich mühten, Fuzzy am Leben zu halten, Homer zu schwer auf der Seele lasteten – Lunge, Wasserrad und Ventilator –, dann suchte Homer leise das Babyzimmer auf. Dort traf er regelmäßig auf Schwester Angela oder Schwester Edna, die sich auch nachts um ihre Babys kümmerten. Manchmal, wenn die Babys still waren, schlief sogar die diensttuende Schwester, und Homer Wells schlich sich auf Zehenspitzen an ihnen allen vorbei.
    Eines Nachts sah er eine der Mütter im Babyzimmer stehen. Sie schien nicht speziell ihr Baby zu suchen; sie stand einfach in ihrem Spitalnachthemd mitten im Babyzimmer und nahm mit geschlossenen Augen die Gerüche und Geräusche des Babyzimmers auf. Homer fürchtete, die Frau würde Schwester Angela wecken, die auf dem Dienstbett döste und ungern geweckt wurde. Langsam, wie Homer sich vorstellte, daß man einer Schlafwandlerin helfen würde, geleitete er die Frau zurück ins Mütterzimmer.
    Auch die

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