Gottes Werk und Teufels Beitrag
Postversandkatalogen und einer ausgesprochen spleenigen Sekte, die ihre Religion per Postversand verbreitete. Ihre Zeitschrift, die ungefähr das Format von Comicheften hatte, wurde monatlich zugestellt; auf der Titelseite der Ausgabe vom letzten Monat zum Beispiel war ein wie ein Soldat gekleidetes Skelett abgebildet gewesen; es flog auf einem geflügelten Zebra über ein Schlachtfeld, das irgendwie an die Schützengräben im Ersten Weltkrieg erinnerte. Die anderen Postversandkataloge waren von der eher üblichen Sorte, doch der Bahnhofsvorsteher litt derart unter seinen abergläubischen Vorstellungen, daß sich in seinen Träumen die Bilder aus den Sektenblättchen häufig mit den Haushaltsgeräten, Stillbüstenhaltern, Klappstühlen und Riesenzucchinis vermischten, die er in den Katalogen angepriesen sah.
Daher war es für ihn nichts Ungewöhnliches, von nächtlichen Horrorvisionen aus dem Schlaf gerissen zu werden, in denen Särge aus einem Bilderbuchgarten emporschwebten – Leichen, die sich, umgeben von preisgekröntem Gemüse, in die Lüfte erhoben. Ein Katalog war ausschließlich diversem Angelzubehör gewidmet; so zeigten sich die Leichen des Bahnhofsvorstehers denn auch häufig in Gummistiefeln oder mit Angelruten und Käschern in der Hand. Und dann gab es noch die Wäschekataloge, in denen Büstenhalter und Strapsgürtel feilgeboten wurden. Vor allem die fliegenden Toten in Büstenhaltern und Strapsgürteln jagten dem Bahnhofsvorsteher Angst ein.
Am bescheuertsten an der Religion per Postversand war, daß sie hartnäckig behauptete, es gäbe immer mehr ruhelose, heimatlose, unerlöste Tote; in dichter besiedelten Gegenden der Welt als St. Cloud’s, so glaubte der Bahnhofsvorsteher, wimmelte es am Himmel von diesen unglücklichen Seelen. Die Ankunft von Dr. Larchs »Clara« paßte verhängnisvoll in die nächtlichen Horrorvisionen des Bahnhofsvorstehers und war mit schuld daran, daß er bei Ankunft jedes neuen Zuges besonders niedergeschlagen wirkte – auch wenn Larch dem Schwachkopf beteuert hatte, daß die nächsten ein bis zwei Jahre keine neuen Leichen mehr ankommen würden.
Für den Bahnhofsvorsteher war die Vorstellung vom Jüngsten Gericht etwas so Konkretes wie das Wetter. Den ersten Zug am frühen Morgen haßte er am meisten: den Milchzug mit den schweren Kannen, die bei jedem Wetter beschlagen waren. Die leeren Kannen, die auf den Zug gebracht wurden, erzeugten eine Art Totengeläut und einen hohlen, hallenden Klang, wenn sie gegen den hölzernen Bahnsteig knallten oder die eisernen Stufen hinaufgereicht wurden. Der erste Zug am Morgen war auch der Postzug; der Bahnhofsvorsteher war zwar begierig auf neue Kataloge, aber Angst vor der Post (beziehungsweise vor dem, was sie ihm bringen mochte) hatte er trotzdem: wenn schon keine in Balsamierungsflüssigkeit schwappende Leiche, dann zumindest die allmonatliche Mahnung seiner Postversandreligion, das Jüngste Gericht stehe bald bevor (immer noch eher als beim letztenmal erwartet und stets mit noch entsetzlicherer Wucht). Der Bahnhofsvorsteher lebte dafür, sich in Angst und Schrecken versetzen zu lassen.
Ein Loch in einer Tomate konnte bewirken, daß er sich noch mehr in seine frühmorgendlichen fieberhaften Betanfälle hineinsteigerte; tote Tiere ließen ihn (unabhängig von der Todesursache) erbeben – er fürchtete, daß die Seelen der Wesen die Luft verstopften, die er zum Atmen brauchte, oder daß sie in seinen Körper einfahren könnten. (Gewiß trugen sie zu seiner Schlaflosigkeit bei, denn der Bahnhofsvorsteher war schon ebenso lange schlaflos wie Wilbur Larch und Homer Wells, allerdings ohne alle Jugend, Bildung oder Äther.)
Diesmal hatte ihn bestimmt der Wind geweckt; etwas, vielleicht eine Fledermaus, war aus der Bahn geweht und gegen sein Haus geworfen worden. Ein fliegendes Tier mußte gegen seine Hauswand geprallt und gestorben sein, und nun kreiste seine Seele draußen umher und begehrte wütend Einlaß. Der Wind, der durch die Speichen am Fahrrad des Bahnhofsvorstehers strich, stöhnte plötzlich auf. Ein abrupter Windstoß warf das Fahrrad von seinem Kickständer; es schepperte auf den Ziegelweg, sein Daumenglöckchen klingelte schwach, als ob eine der rastlosen Seelen dieser Welt bei dem Versuch gescheitert sei, es zu stehlen. Der Bahnhofsvorsteher richtete sich im Bett auf und schrie.
Das Sektenblättchen empfahl Schreien als einen möglichen, wenn auch nicht sicheren Schutz vor heimatlosen Seelen. Tatsächlich blieb der
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