Gottes Werk und Teufels Beitrag
nur, was du weißt, Grace.« Grace Lynch spuckte aus zwischen ihren sehr schmalen Lippen. »Saint Cloud’s«, zischte sie; es war ein lautes Flüstern. Wally dachte, daß das der Name eines Mannes wäre – vielleicht eines Heiligen? Oder so etwas wie der Spottname für einen besonders schlimmen Abtreiber – St. Cloud’s! Grace Lynch war wirklich kein Glückspilz. Falls sie bei einem Abtreiber gewesen war – mußte es nicht der allerschlimmste gewesen sein, den man sich nur vorstellen konnte?
»Ich weiß nicht, wie der Doktor heißt«, gestand Grace, immer noch flüsternd, und sah Wally nicht mehr an – sie sollte ihn nie wieder ansehen. »Der Ort heißt St. Cloud’s, und der Doktor ist gut – er ist so freundlich, er macht es richtig.« Für sie war das nahezu eine Predigt – zumindest eine Ansprache. »Aber laß sie nicht alleine fahren – ja, Wally?« sagte Grace und streckte tatsächlich den Arm nach ihm aus – zuckte aber sofort zurück, nachdem sie ihn berührt hatte, als ob Wallys Haut mindestens so heiß wäre wie der Backofen, wenn er aufgeheizt war.
»Nein, natürlich lasse ich sie nicht allein fahren«, versprach Wally.
»Frag nach dem Waisenhaus, wenn du aus dem Zug steigst«, sagte Grace. Sie kletterte in den Ofen zurück, bevor er ihr danken konnte.
Grace Lynch war allein nach St. Cloud’s gefahren. Vernon hatte nichts davon gewußt, sonst hätte er sie wahrscheinlich dafür verprügelt. Aber weil sie über Nacht weggeblieben war, hatte er eben das als willkommenen Grund genommen, um sie zu verprügeln. Für seine Verhältnisse war es wohl eine fast schon harmlose Tracht Prügel gewesen.
Grace war am frühen Abend eingetroffen, kurz nach Einbruch der Dunkelheit; wie üblich, war sie nicht bei den Schwangeren untergebracht worden; sie war so zappelig gewesen, daß Dr. Larchs Beruhigungsmittel nicht viel ausrichtete, und sie hatte die Nacht hindurch wach gelegen und auf alles gelauscht. Es war vor Homers Lehrzeit gewesen, so daß Homer, sollte er sie gesehen haben, sich nicht an sie erinnern würde und Grace Lynch, sollte sie – eines Tages – Homer Wells zu Gesicht bekommen, ihn nicht wiedererkennen würde.
Es war eine normale Ausschabung zu einem sicheren Zeitpunkt ihrer Schwangerschaft gewesen, ohne Komplikationen – außer in ihren Träumen. Es hatte nie irgendwelche ernsthaften Komplikationen im Anschluß an eine Abtreibung gegeben, die Dr. Larch je ausführte, und keine bleibenden Schäden – außer etwas Innerliches und so sehr die Seele betreffend, daß Dr. Larch dafür nicht verantwortlich sein konnte.
Dennoch – und obwohl Schwester Edna und Schwester Angela ihr das Gefühl gegeben hatten, willkommen zu sein, und Larch, wie Grace Wally erzählte, freundlich gewesen war – dachte Grace Lynch ungern an St. Cloud’s zurück. Nicht so sehr wegen ihrer eigenen Erfahrung oder ihres Kummers als vielmehr wegen der Atmosphäre des Ortes in jener langen Nacht, als sie wach gelegen hatte. Feuchtschwere Luft lastete auf ihr, der unruhige Fluß roch nach Tod, die Schreie der Babys waren unheimlicher als Schreie von Eistauchern – und die Eulen riefen, und jemand pinkelte, und jemand wanderte umher. Da war eine ferne Maschine (die Schreibmaschine) und ein Schrei aus einem anderen Gebäude, ein einziger langgezogener Klagelaut (möglicherweise war das Melony gewesen).
Als Wally wieder fort war, brachte Grace es nicht mehr fertig, den Ofen weiterzuputzen. Sie fühlte sich hundeelend – es war wie die Krämpfe, die sie damals gehabt hatte. Sie ging hinaus in den Apfelmarkt und bat die Frauen, die Arbeit am Ofen zu übernehmen; sie fühle sich einfach nicht gut, sagte sie. Niemand neckte Grace. Die dicke Dot Taft fragte noch, ob sie nach Hause gefahren werden wolle, und Irene Titcomb und Florence Hyde (die ohnehin nichts zu tun hatten) wollten den Ofen »im Handumdrehen« erledigen, wie man in Maine sagt. Grace Lynch ging Olive Worthington suchen und erzählte ihr, daß sie sich nicht wohl fühle und früher nach Hause wolle.
Olive reagierte wie immer verständnisvoll und mitfühlend; als sie Vernon Lynch später sah, schaute sie ihn böse an – böse genug, daß Vernon sich unbehaglich fühlte. Er putzte eben die Düse der Spritzpistole unten bei Nummer zwei, als Olive in dem ausgebleichten Transporter vorbeirollte. Olive warf Vernon einen solchen Blick zu, daß er für einen Moment dachte, sie hätte ihn gefeuert und wolle ihm das allein durch diesen Blick mitteilen. Aber der
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