Gottes Zorn (German Edition)
nicht wichtig. Er hatte viele interessante Ideen im Kopf. Das Kunstwerk ist nicht nur das Bild selbst, sondern alles, was es hervorruft. Die Reaktionen der Betrachter. Ihre Gedanken. Bewunderung. Erschrecken. Abscheu oder Hass. Der Betrachter ist Bestandteil des Ganzen und wird zu einem Teil des Werkes.»
Joel warf Fatima einen Blick zu.
«Wenn also ein Fanatiker Mårten umbringt, weil er den Propheten als Schwein dargestellt hat, wird er selbst zu einem Teil des Kunstwerkes», sagte sie nachdenklich.
«Genau.»
«Osama wird Teil des Kunstwerkes.» Fatima schüttelte den Kopf. «Ich frage mich, ob er wohl selbst daran gedacht hat.»
«Aber die Bilder sind doch nur eine Provokation», wandte Joel ein.
«Selbstverständlich.»
«Aber mit welchem Nutzen?»
Månzon zuckte ungeduldig mit den Achseln. «Nutzen hin oder her. Wir reden hier von Kunst. Davon, Grenzen auszuloten. Das Recht der freien Meinungsäußerung zu verteidigen, wenn Sie so wollen. Die gewalttätige Reaktion beweist doch, dass es notwendig war, oder?»
Eine ganze Weile lang saßen alle drei schweigend da und betrachteten Mårtens Bild. Plötzlich kam Joel ein Gedanke.
«Sie sagten doch, Sie hätten tausend Kronen dafür bezahlt, oder?»
«Ja.»
«Mårten hat in seinem Testament geschrieben, dass Sie behauptet hätten, die Bilder könnten wertvoll sein.»
Månzon lachte leicht verunsichert auf. «Ja, darüber haben wir auch diskutiert. Ich erinnere mich noch daran, dass ich der Meinung war, dass seine Bilder auf dem internationalen Kunstmarkt wohl einiges würden einbringen können, allerdings nur unter einer Bedingung.»
«Die da wäre?»
Mit einem Mal wurde Månzons Stimme hart. «Dass die Provokation auch wirklich gelingt. Dass sie seinen Tod verursacht. Dass das Kunstwerk mit einem Mord vollendet wird.»
Er drückte den Stummel seines Zigarillos im Aschenbecher aus. Erst jetzt bemerkte Joel, dass Månzons Hand zitterte.
«Das ist ja gespenstisch», sagte der Kunsthändler und sah die beiden etwas verängstigt an. «Da sitze ich hier und erzähle Mårten, dass seine Bilder wertvoll werden könnten, wenn er von Extremisten umgebracht werden würde. Und dann geschieht genau das. Man fühlt sich ja fast schuldig wegen Anstiftung zum Mord.»
***
A ls sie wieder im Wagen saßen, grübelte Joel lange nach. Die Gedanken schossen ihm kreuz und quer durch den Kopf. Ab und an linste er heimlich zu Fatima hinüber, die ihre Lederjacke auf den Rücksitz geworfen hatte. Ihr schien immer noch heiß zu sein. Sie lächelte ihn etwas mehrdeutig an und strich sich eine feuchte Haarsträhne hinters Ohr, in dem ein kleiner in Silber eingefasster Stein steckte, der klar war wie Kristall.
Merkwürdig, dachte Joel. Ich habe solche Lust, sie zu berühren. Schon beim ersten Mal, als sie in Mårtens Haus am Fenster stand und hinausschaute und sich die Wintersonne in dem kleinen Schmuckstück am Ohrläppchen spiegelte, schon da wollte ich am liebsten ihren Hals mit meinen Lippen berühren.
Er errötete. Faltete die Hände im Schoß und ließ den Blick durch die Windschutzscheibe hinausschweifen. Die Sicht war miserabel. Schwere Schneeflocken wirbelten ihnen entgegen.
Schließlich hielten Joels wirre Gedankengänge bei etwas inne, das Karl Månzon gesagt hatte: Grenzen ausloten. Das Recht der freien Meinungsäußerung verteidigen.
Es hatte so … hochtrabend geklungen.
«Ich kann mir nicht helfen, aber ich finde, es war so unnötig …»
Sie warf ihm einen raschen Blick zu. «Was denn?»
«Alles. Mårtens Kunstwerke. Lediglich provozieren zu wollen …»
Er sah, wie sie das Lenkrad festhielt und mit dem Fuß beunruhigend heftig auf die Bremse trat. Erstaunt hielt er sich am Handgriff fest, während der Wagen an den Straßenrand schlitterte. Als er zum Stehen kam und sie den Motor ausgeschaltet hatte, drehte sie sich mit schwarzen Augen zu ihm um. Die Wucht ihrer Wut ließ Joel die Luft anhalten.
«Sie sind so verdammt naiv! So unglaublich verwöhnt! Kapieren Sie denn gar nichts? Sie sind im sichersten Land der Welt geboren! Begreifen Sie denn nicht, dass die Meinungsfreiheit etwas ist, das man verteidigen muss? Für die man kämpfen muss!»
«Aber …»
«Es gibt kein Aber! Es spielt keine Rolle, was Ihr Vater mit seinen Bildern zu sagen versucht hat. Und es ist auch egal, ob er sein ganzes Leben lang ein Schuft war. Er hatte das Recht zu sagen, was er wollte. Keiner durfte ihm den Mund verbieten!»
Sie wischte sich mit dem Ärmel ihres Pullis
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