Gottes Zorn (German Edition)
deren Ursprung er sich nicht recht erklären konnte.
«Schön, dass Sie kommen konnten», rief sie, noch bevor er sie erreicht hatte.
Er hatte den Eindruck, dass sie ihn irgendwie höhnisch angrinste.
«In besserer Verfassung als letztes Mal?», fragte sie.
Joel gab ihr die Hand und merkte, dass sie sie etwas fester als gewöhnlich drückte.
«Vorausgesetzt, Sie lassen diesmal Ihren Revolver stecken», antwortete er.
«Pistole», korrigierte sie ihn. «Es ist eine SIG Sauer, unsere Dienstwaffe.»
«Whatever …», sagte Joel mit erzwungener Nonchalance.
Genau wie beim letzten Mal roch es muffig im Haus. Warum sollte es sich auch geändert haben? Allerdings drangen von irgendwo aus dem Inneren starke Terpentin- und Farbgerüche. Die Katze ließ sich nicht blicken. Joel warf einen vorsichtigen Blick ins Wohnzimmer, als erwartete er, dass Mårten noch immer von der Decke herabbaumeln würde. Auf den Dielenboden hatte jemand die Konturen einer Männerleiche mit ausgebreiteten Armen gezeichnet. Sie erinnerten an einen Engel.
Die blutroten Schriftzeichen an der Wand waren noch da.
«Gottes Zorn», murmelte Joel vor sich hin. Er wandte sich ihr zu. «Ich kann mich noch daran erinnern, wie Sie die Worte ausgesprochen haben …»
«Ghadab Allah», sagte sie leise.
Joel ließ die Worte auf sich wirken. Dann fragte er: «Was glauben Sie?»
«Ich nehme an, Sie wissen, dass wir in Malmö einen Mann festgenommen haben, der verdächtigt wird, den Mord begangen zu haben?»
«Ja …»
«Er heißt Osama Al-Din», informierte sie ihn. «Tja, ich lüfte wohl kein Geheimnis. Auch wenn die Zeitungen seinen Namen nicht nennen, kann ihn eigentlich jeder auf den rassistischen Websites im Internet finden.»
«Und wer ist er?»
Sie ging zum Fenster und schaute auf die tief verschneite weiße Landschaft hinaus.
«Ein junger Typ. Fanatiker. Schien davon zu träumen, als Märtyrer zu enden und einen Ehrenplatz im Himmelreich zu bekommen.»
Sie wurden von Schritten auf der Kellertreppe unterbrochen. Zwei Männer in Schutzkleidung zeigten sich auf der Schwelle zum Flur.
«Wir fahren jetzt, Fatima», sagte der eine von ihnen. «Das meiste ist im Prinzip fertig, aber hinterlasse keine unnötigen Spuren. Man weiß ja nie. Wir hören voneinander.»
Nachdem die Haustür zugeschlagen war, erklärte sie: «Der Mörder hat ein Kellerfenster eingeschlagen. Die Kriminaltechniker haben gerade die letzten Spuren da unten gesichert. Sie untersuchen sie auf Fingerabdrücke und DNA hin. Aber ich glaube, dass das Haus trotzdem noch eine Weile lang versiegelt und bewacht werden wird.»
Die Staffelei stand noch immer neben der Tür. Sein letztes Bild, dachte Joel. Es stellte einen Mann dar, der einen Berg bestieg, an dessen Spitze sich der Himmel in einem gleißenden weißen Licht öffnete. Dieselbe plumpe Pinselführung. Aber das Bild barg eine gewisse Spannung in sich, einen Ausdruck starker Gefühle. Das Motiv war demjenigen auf dem Bild, das er Helga aus Liebe geschenkt hatte, nicht unähnlich.
An die Wand gelehnt standen noch weitere Leinwände mit Figuren, gemalt im Stil naiver Malerei in kräftigen Farbtönen und mit religiösen Motiven. Auf einem Stapel, der vom Fußboden bis zum Fensterrahmen reichte, lagen Skizzen von Kohle- und Bleistiftzeichnungen.
«Ich möchte Sie bitten, noch einmal Ihre Erinnerungen durchzugehen, Joel. Was genau haben Sie gesehen, als Sie in der betreffenden Nacht herkamen?»
«Hat denn dieser Osama nicht gestanden?»
«Mehr oder weniger schon. Aber wir hätten gerne noch konkretere Eindrücke vom Tatort. Denken Sie nach! Optische Eindrücke? Geräusche? Gerüche? Es war mitten in der Nacht, als Sie herkamen, und draußen tobte ein Schneesturm.»
Er sah sich ausgiebig im Zimmer um. Zog dann seinen Mantel aus, sank in den ausladenden Ledersessel vorm Kamin und schloss die Augen.
«Gehen Sie in sich», hörte er sie mit leiser, nahezu flüsternder Stimme wie eine Hypnotiseurin dicht neben seinem Ohr sagen. «Es kann sich um Dinge handeln, die sich tief in Ihrem Inneren befinden. Dinge, die Sie verdrängt haben.»
Joel versuchte sich zu konzentrieren. Seine Sinne zu schärfen. Nach einer Weile meinte er den Sturm heulen zu hören, der an der Kastanie vor dem Haus riss und zerrte. In dieser Nacht war es besonders kalt gewesen. Er hatte abwechselnd gefroren und geschwitzt. Etwas Schnee vom Cherokee heruntergewischt. Eine Krähe hatte ihn beäugt, und im Haus hatte er einen flackernden Schein erblickt. War
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