Gottes Zorn (German Edition)
in prustendes Gelächter aus. Sein Bauch hüpfte noch immer, als Ahmed mit einer überdimensionalen fetttriefenden Schweinefiletpizza zurückkehrte, deren Ränder den Tellerrand überlappten.
«Du lachst?»
«Verzeihung, aber es sah so lustig aus …»
«Aber es ist nicht lustig. Blutsbande zu zerschlagen, ist nie lustig», sagte Ahmed und trottete von dannen.
Holgersson wischte sich die Tränen ab und hieb mit der Gabel in die Pizza. Joel beobachtete ihn, unfreiwillig fasziniert vom unersättlichen Appetit des Redakteurs.
Schließlich fragte er: «Und Sie, Roger? Welche Blutsbande haben Sie?»
«Geboren in Tomelilla. Hier aufgewachsen. Werde allem Anschein nach hier in Rente gehen und auch sterben», deklarierte Holgersson mit vollem Mund.
Weitere Erklärungen gab er nicht von sich, bevor er seinen Teller bis auf den letzten Krümel leer gegessen hatte. Dann schluckte er schwer und legte sein Besteck zur Seite. Plötzlich nahm sein Blick traurige Züge an. Er rülpste laut und deutlich.
«Ich kenne dich aus der Schule», sagte er.
«Sie mich? Aber …»
«Ja, ich weiß. Ich bin zwölf Jahre älter als du. Und außerdem war ich eine Zeitlang nicht in Tomelilla, weil ich woanders gearbeitet habe. Aber ich erinnere mich an dich. Und ich hab so einiges gehört.»
Joel suchte vergebens in seiner Erinnerung.
«Unter anderem von Britt», erklärte Holgersson.
«Britt …?»
«Meine kleine Schwester.»
Er kippte den letzten Schluck Bier hinunter und fixierte Joel dann eindringlich.
«Du warst ein Teufel, wenn’s darum ging, andere zu mobben.»
Langsam, ganz langsam rührte sich etwas in den Zellen ganz hinten in seiner Hirnrinde. Vage Konturen eines großen Bruders, der bereits erwachsen war, traten zutage. Joel konnte sich nicht daran erinnern, jemals mit ihm gesprochen zu haben. Inzwischen war es mehr als zwanzig Jahre her. Aber Britt Holgersson, klar, damals hieß sie so.
Verdammt, es ist ja noch nicht mal vierundzwanzig Stunden her, dass ich mit ihr gevögelt habe!, fuhr es Joel durch den Kopf.
«Damals war ich noch nicht ganz so fett», sagte der massige Mann mit einem verbitterten Klang in der Stimme. Ohne Joel aus dem Blick zu lassen, bestellte er bei Ahmed zwei weitere Biere. «Nicht einmal halb so fett.»
«Ja, verdammt. Jetzt erinnere ich mich.»
Bei Joel machte sich ein Gefühl der Unsicherheit breit. Es gab offenbar noch mehr, was er verdrängt hatte.
«Aber warum hast du nichts gesagt … und wieso mobben?»
«Andere Kinder quälen, die sich nicht wehren können. Aber meine dumme kleine Schwester war dennoch bis über beide Ohren in dich verknallt.»
Joel wusste nicht, was er sagen sollte. Er blieb stumm. In seinem Kopf flimmerten einige Bilder von früher vorbei, und er schloss die Augen, ohne sich dessen bewusst zu sein.
«Nach dem, was Britt sagt, hast du vorzugsweise einen stotternden Jungen namens Urban gequält», fuhr Holgersson unbarmherzig fort. «Ich habe es dir angesehen. Du warst ein übler Teufel damals, kein Zweifel.»
Er seufzte, als empfände er Erleichterung darüber, es ausgesprochen zu haben.
«So viel zum Thema Blutsbande», sagte er und schaute durchs Fenster hinaus auf den Platz, der inzwischen verlassen dalag.
Joel begriff nur allzu deutlich, was er meinte. Es war schließlich genau das, was er sein ganzes verdammtes misslungenes Leben lang befürchtet hatte.
Kapitel 19
D iesmal näherte er sich dem Haus unbewaffnet. Die Winchester und die Axt hatten die Polizei ja beschlagnahmt. Er würde auch gar keine Waffen benötigen, sagte er sich, wenn auch mit einem unguten Gefühl in der Magengrube. Doch der Schaffellmantel, den er trug, war derselbe.
Bereits aus der Entfernung sah er das blau-weiße Absperrband im Wind flattern. Zwei Polizeiwagen parkten auf dem Hof. Der Schnee auf der Weidenallee war sorgfältig geräumt worden. Die Krähen trieben wie immer ihr Unwesen über der ausladenden Kastanie. Der Himmel war von einem undurchdringlichen Grau.
Nachdem er die Wagentür hinter sich zugeschlagen hatte, erblickte er sie wartend auf der Verandatrappe. Sie hatte ihn am frühen Morgen angerufen. Ob er sich noch an sie erinnere? Fatima Al-Husseini, die Kriminalkommissarin. Sie würde gerne ein paar Worte mit ihm wechseln. Am liebsten in dem Haus, in dem er aufgewachsen war.
Ihm fiel auf, dass sie müde aussah. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen, als hätte sie die Nacht durchgemacht. Ihre Haut war extrem blass. Dennoch strahlte sie eine Energie aus,
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