Gottesdienst
Hängebacken hinzu, dünnte die Augenbrauen aus und verlängerte die Nase. »Das sind keine bloßen Mutmaßungen«, sagte er. »Die Veränderungen beruhen auf der Anatomie der Person, der Knochenstruktur, dem Muskelgewebe und dem, was wir über den Alterungsprozess wissen.«
Das Bild auf dem Schirm veränderte sich. Mir lief es heiß und kalt den Rücken herunter.
»Gib ihr ein hartes Leben und etwas mehr Fett auf den Knochen.«
Die Partie um die Augen wirkte jetzt aufgedunsen, und über den Hals hing ein Doppelkinn. Schließlich fragte er: »Etwa so?«
Das Phantombild wirkte etwas künstlich, aber man konnte die Person erkennen.
»Es ist Chenille Wyoming.«
Chenille kannte Brian also. Sie kannte ihn seit fast zwanzig Jahren. Sie war hinter ihm her gewesen. Auf der Fahrt zur Polizeiwache konnte ich mir noch keinen Reim darauf machen. Kristal C. Hopp, K. C., Casey – ihre Entwicklung hatte vom »Nachsitzer-Club« über Drogenmissbrauch zur Prostitution geführt. Sie war schließlich in Santa Barbara gelandet, dem ewigen Ziel jener Highschool-Absolventen, die – genau wie ich – die Flucht aus China Lake angetreten hatten. Irgendwo auf ihrem Weg war sie zu Chenille Krystal geworden. Aus ihrer Heiratsannonce konnte ich mich noch an diesen pompösen Namen erinnern. Und dann war sie als Chenille Wyoming wieder aufgetaucht, als Möchtegern-Revolutionärin, die es darauf anlegte, als berühmteste Ex-Hure in die Geschichte einzugehen. Sie wollte Maria Magdalena übertrumpfen – sie wollte nicht als Sklavin bekannt werden, sondern als Domina.
Ich starrte auf die Straße. Die heiße Luft flimmerte über dem Asphalt.
Chenille Wyoming, die so gerne peitschenknallend über das Jenseits regiert hätte, hatte sich also einst auf der Straße vor unserem Haus herumgetrieben, geraucht, getrunken und nach Brian Ausschau gehalten. Allerdings umsonst, denn er hatte sie nur mit stiller Missachtung gestraft. Und dann war er dieses Jahr wieder in ihr Leben getreten, als sich Tabitha den Standhaften anschloss. Ausgerechnet Tabitha, Brians Auserwählte und der neue Liebling von Pastor Pete, Tabitha, die so großartig zeichnen konnte. Eifersucht konnte gar kein Ausdruck für das sein, was Chenille empfand.
Wie ich Jesse bereits erzählt hatte, glaubte ich, dass die Standhaften Tabitha aufgewiegelt hatten, um Lukes und Brians Leben ebenso wie das meine durcheinanderzubringen. Sollte etwa eine offene Rechnung aus längst vergangenen Highschool-Zeiten dahinterstecken? Wenn das so war, hatte Brian Chenille keinen Grund zum Nachgeben geliefert. Als er sie sah, hat er sie nicht einmal wiedererkannt. Er hat sie behandelt, als wäre sie gar nicht da.
Jetzt glaubte sie, dass er ihren Mann umgebracht hatte, und wollte Rache. Sie würde die ganze Welt dafür büßen lassen. Meine Hände am Lenkrad waren schweißnass.
Detective McCracken fand das alles nicht so aufregend wie ich. Er hielt das Phantombild zwischen seinen Zigarrenstummelfingern und pfiff beim Atmen durch die Nase. »Eine Highschool-Schwärmerei? Und weiter?«
»Und …« Was weiter? »Zumindest belegt das, dass sie Informationen vor Ihnen zurückgehalten hat und dass sie Brian kannte.«
»Sie haben wohl vergessen, wie das in so einer Kleinstadt ist? Hier kennt jeder jeden, da erwarte ich nicht, dass sie mir von jeder Affäre in der Highschool erzählt.«
»Es war keine Affäre.«
»Oh, Verzeihung, eine unerwiderte Liebe. Das macht das Ganze natürlich noch brisanter.«
Mir fiel nichts mehr ein, ich konnte nur noch das Thema wechseln. »Haben Sie schon die Tatwaffe gefunden?«
»Arbeite ich etwa für Sie?«
Als Luke und ich am nächsten Tag zurück nach Santa Barbara fuhren, hörten wir in den Radionachrichten, dass ein Wagen in einen Imbiss auf der State Street gekracht war – nachdem der Fahrer anscheinend eine streunende Katze verfolgt hatte. »Wir möchten Sie noch einmal daran erinnern«, sagte der Nachrichtensprecher, »dass ein Minivan nicht das probate Mittel ist, um streunende Tiere zur Strecke zu bringen. Wenn Sie einen Verdacht auf Tollwut haben, informieren Sie das Veterinäramt.«
Bei Jesse hörte ich meinen Anrufbeantworter ab – keine neuen Nachrichten. Danach versuchte ich ein weiteres Mal vergeblich die Sprechstundenhilfe von Dr. Jorgensen zu erreichen. Meine Intuition sagte mir sehr deutlich, dass die gestohlenen Medikamente etwas mit den Standhaften und Jorgensens Tod zu tun hatten, deshalb probierte ich es noch einmal bei Kevin Eichner.
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