Gottesdienst
Bioterroristen. Es ist so gefährlich, dass das Einatmen weniger Nanogramm des Stoffes den Betroffenen sofort tötet. Und betroffen konnte jeder sein – Flugzeugpassagiere, die UN-Generalversammlung oder die eigene Großmutter.
An diesem Punkt beschloss ich einen Waffenexperten anzurufen, den ich kannte, einen Absolventen der Marinehochschule: meinen Vater. Er war gerade in seinem Hotelbett in Singapur aufgewacht.
»Bioterrorismus? Das ist die Atombombe des kleinen Mannes«, sagte er. »Es gefällt mir nicht, wenn meine Tochter mir Fragen dazu stellt. Was ist denn passiert?«
Ich gab ihm einen kurzen Abriss dessen, was ich gerade erfahren hatte.
»Biowaffen sind Massenvernichtungsmittel, die leicht zu bekommen sind«, erklärte er. »Man benötigt dazu keine Isotopentrennanlagen und keine Kernforscher, nicht mal stinknormales altmodisches Schießpulver oder Kanonen. Die Krankheitserreger finden sich in der Natur oder man kann sie bei Arzneimittelversendern bestellen. Ein Terrorist mit einem Highschool-Abschluss und etwas Erfindergeist könnte genügend Seuchenerreger züchten, um damit Zehntausende Menschen zu töten. Oder der Täter könnte es sich leicht machen und das vorbereitete Toxin stehlen.«
Mir stand der Schweiß auf der Stirn. Das Toxin stehlen? Chenille Wyoming, bitte vortreten.
»Sag mir, warum du das wissen willst, Kit.«
Kevin Eichner sollte für Chenille nicht deshalb die Medikamente stehlen, damit die Opfer der biologischen Kriegsführung damit behandelt werden konnten. Ganz im Gegenteil. Sie selbst wollte den Untergang auslösen, indem sie die Reiter der Apokalypse auf die Welt losließ.
Mit dem Telefon in der Hand ging ich hinaus auf die Terrasse. Ich versuchte die Fassung zu bewahren. »Das hört sich jetzt verrückt an.«
»Glaubst du, die Leute, mit denen Tabitha zu tun hat, versuchen sich biologische Kriegswaffen zu beschaffen?«
Das Meer war von einem glasklaren Blau, und ein scharfer Salzgeruch lag in der Luft. Draußen, jenseits der Brandung glitt ein Pelikan über die Wasseroberfläche. Die Standhaften hatten keine Augen für diese Schönheit. Sie sahen eine völlig andere Welt vor sich: eine Welt, die sich vor dem Licht verbarg, ähnlich dem, was die Wissenschaftler dunkle Materie nannten – ein Universum, in dem unsichtbare Kräfte aufeinanderstießen, Leben schufen und zerstörten und unser Schicksal kontrollierten. Und Chenille wollte die Auslöserin des Sturms sein, sie wollte diejenige sein, die die Kontrolle hatte: die Hohepriesterin der Zeit nach dem großen Krieg.
»Ja, das glaube ich.«
Eine lange transpazifische Stille hielt Einzug. Dann begann er wieder zu sprechen. »Die Aum-Sekte hat in der U-Bahn von Tokio das Nervengift Sarin freigesetzt. Und die Rajneeshi haben in Oregon Salmonellen über Salatbuffets gesprüht und damit über 750 Menschen ins Krankenhaus gebracht. Was du denkst, hört sich überhaupt nicht verrückt an, Evan.«
»Danke, Dad.«
»Gibt es bei der Polizei jemandem, dem du vertraust und dem du das erzählen kannst?«
»Nein. Nicht bei so wenigen Beweisen. Sie würden es als Spekulation abtun.«
»Hör zu«, sagte er. »Vom Standpunkt des Täters aus gesehen hat die chemische und biologische Kriegsführung verschiedene Vorteile. Einer davon ist die leichte Verbreitung: Ein paar verseuchte Bomben hier und da oder nachts ein Getreidefeld einsprühen – es gibt unzählige simple Methoden, die Bevölkerung auszulöschen. Ein weiterer Vorteil ist die Möglichkeit zur Flucht. Es dauert oft Tage, Wochen oder gar Monate, bis Keime die Krankheit übertragen haben. Die Wirkung eines biologischen Angriffs ist nicht so unmittelbar wie die einer Gewehrkugel. Ein Terrorist kann sich deshalb schon längst in Sicherheit gebracht haben, bevor sich die Folgen seiner Tat zeigen. Die Opfer eines Biowaffenangriffs wissen oft nicht, dass sie betroffen sind. Was dieses Szenario zum Albtraum macht, ist auch der Umstand, dass es so lange dauert, bis man herausfindet, ob man Ziel eines Angriffs geworden ist oder nur Opfer einer natürlichen Epidemie.«
Jetzt spürte ich wieder dieses Kitzeln ganz tief unten in meinem Hirn, das sich in den letzten Tagen immer wieder einmal gemeldet hatte.
»Die Sache ist die«, fügte er hinzu, »du hast gesagt, dass diese Kirche irgendeinen Angriff für die Zeit um Halloween plant. Das ist in einer Woche. Wenn sie biologische Kampfstoffe freisetzen wollen, könnten sie schon vorher damit anfangen. Vielleicht haben sie es sogar
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