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Gottesdienst

Titel: Gottesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Gardiner
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heulen. Aber dann riss er sich zusammen. Er stellte sich auf den Stuhl, drückte seine Hände gegen das Plexiglas und hinterließ einen Kuss auf der Scheibe.
    »Ich hab dich lieb, Daddy.«
    »Ich dich auch.«
    Ich dachte, Brian hätte alles gesagt und nahm Luke bei der Hand. Doch als er bei der Tür war, rief mein Bruder meinen Namen. Er kämpfte mit den Tränen. Ich bat Luke zu warten und ging zur Absperrung zurück.
    »Bring ihn nicht noch einmal hierher«, sagte Brian, dann drehte er sich um und ging.
     
    Casey Hopp. Der Name konnte kein Zufall sein. Dafür war die Stadt zu klein, dafür schlang sich dieser Albtraum zu eng um meine Familie. Wo war Casey Hopp heute? Wer war Casey Hopp heute?
    Ich fuhr zu Abbie Hankins. Die kleine Hayley saß auf einem Dreirad in der Hauseinfahrt, die blonden Haare umwehten ihren Kopf wie ein Heiligenschein. Freundlich winkend stieß sie die Eingangstür auf. Abbie war in der Küche.
    »Kannst du dich an das Foto von Casey Hopp in dem Jahrbuch erinnern?«, fragte ich. »Kann ich es noch mal sehen?«
    Sie schob die Brille auf der Nase nach oben. »Ich hab sogar noch was Besseres für dich.«
    Sie hatte das Jahrbuch eines späteren Schuljahrs gefunden. »Hier, ein Porträt von Miss Hopp als Abgängerin. Und weißt du was? Casey war gar nicht ihr richtiger Name, es war nur ein Spitzname wegen ihrer Initialen K. C.«
    Ich sah ihr über die Schulter und betrachtete das Bild genau. Sie hieß Kristal mit Vornamen, und auf dem Bild wirkte sie ziemlich empört – vielleicht weil der Fotograf sie eine Kunstpelzstola tragen ließ, die so gar nicht zu ihren sonstigen »Nachsitzer-Club«-Klamotten passte. Sie hatte ausgeprägte Wangenknochen, langes gerades Haar und tiefliegende Augen unter dichten Augenbrauen. Irgendwie kam sie mir bekannt vor, wegen ihrer Körperhaltung und wegen dem Hass, den selbst noch dieses Foto ausstrahlte. Tatsächlich beschlich mich ein bestimmter Verdacht.
    »Ich würde das gerne mal der Polizei zeigen. Vielleicht haben sie dort einen Zeichner, der ein Phantombild anfertigen kann, wie sie heute aussieht.«
    »Ein Polizeizeichner? In China Lake?«
    Sie hatte recht. Wahrscheinlich war die einzige Person hier in der Gegend, die so was konnte, Tabitha. Was ich brauchte, war so was wie das Computer-Imaging-Programm aus Neil Jorgensens Praxis. Doch Abbie wusste Rat. »Da hast du aber ganz schön Glück, Liebes. Wally benutzt das gleiche Programm, um Eltern zu zeigen, was ein kieferchirurgischer Eingriff bei ihren Kindern verändern würde.«
    Wallys Praxis lag in einem Einkaufszentrum in Innenstadtnähe. Beim Eintreten umgab uns sofort diese furchtbare typische Zahnarztatmosphäre: Beruhigungsmusik und Menschen, die sich auf leisen Kreppsohlen bewegten. Im Behandlungszimmer hörten wir einen Bohrer surren. Eine Zahnarzthelferin, der ein grüner Mundschutz um den Hals hing, stand in der Nähe des Empfangs. Die Helferin zuckte mit keiner Wimper, als sie Abbie, mich, Luke und die drei Hankins-Kinder hereinstürmen sah. Ich fragte mich, wie oft Abbie hier wohl so hereinrauschte.
    Nachdem Abbie kurz erklärt hatte, dass es sich um einen Notfall handelte, setzte sie Hayley auf dem Empfangsschalter ab und begann das Foto aus dem Jahrbuch im Computer einzuscannen. Über ihre Schulter hinweg bemerkte sie: »Übrigens, unser bissiger Freund, der mich verspeisen wollte …« Sie hob ihren Arm und zeigte, wie gut die Wunde inzwischen verheilt war. »Das war gar kein Coyote.«
    »Wie bitte?«
    »Es war ein Coydog, eine Kreuzung aus Coyote und Mastiff. Da hat sich wohl ein Eindringling auf vier Pfoten in den Stall von Fifi gestohlen und mit ihr einen Wurf von ganz besonderen Mischlingen gezeugt.« Sie schaute auf den Bildschirm und tippte etwas ein. »Und das Veterinäramt sagt, dass er als Haustier gehalten wurde. Seine letzte Mahlzeit war Pedigree Pal. Das Vieh hat jemandem gehört, und derjenige wird eine Menge Ärger kriegen, wenn ihm das Veterinäramt auf die Schliche kommt. Ich kann es kaum erwarten.«
    Wally hatte inzwischen den Bohrer beiseitegelegt und sich uns angeschlossen. Sein Teddygesicht wirkte ungewohnt ernst. Als Abbie das Foto auf dem Bildschirm aufrief, sagte er: »Lass mich mal ran.«
    Für jemand, der den ganzen Tag damit verbrachte, Leuten in den Mund zu starren, war er ziemlich geschickt darin, sich die Veränderungen vorzustellen, die die Zeit in einem Gesicht anrichten konnte. Er zog die Mundwinkel auf dem Schirm etwas nach unten, fügte den Ansatz von

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