Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Gottesdienst

Titel: Gottesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Gardiner
Vom Netzwerk:
Ich erreichte ihn unter seiner Mobilnummer auf der Baustelle und erzählte ihm von meinem Verdacht.
    Er sprach leise. »Sie konnte mich nicht dazu bringen, für sie zu stehlen, also legte sie bei Glory die Daumenschrauben an. Tja, Glorys Gabe der Unterwürfigkeit war da ja ganz schön praktisch für sie.«
    Ich fragte ihn, ob sich Chenille näher geäußert hatte, welche Medikamente er für sie stehlen sollte.
    »Morphin – sie sagte, wir müssten uns einen Vorrat anlegen, damit wir die Verwundeten in der Zeit der Drangsal behandeln könnten. Außerdem wollte sie etwas von allem, was der Neurologe so da hatte, falls wir einem Nervengasangriff ausgesetzt würden. Ich sag Ihnen, die hat nicht mehr alle Tassen im Schrank.«
    Wenig später fuhr ich zur zweiten Impfung zur Praxis meiner Ärztin. Als Dr. Abbott meine Armbeuge desinfizierte, nutzte ich die Gelegenheit zu einer Frage. »Welche Arten von Medikamenten würde ein Neurologe in seinem Giftschrank aufbewahren?«
    Offensichtlich hatte sie eher eine Frage zum Thema Tollwut erwartet. »Warum fragen Sie?«
    »Es geht um einen Fall, an dem ich arbeite.«
    »Na ja, das dürften hauptsächlich krampflösende Medikamente sein, Dilantin, Tegritol … Medikamente gegen Migräne und Parkinson.«
    »Und wie sieht es bei einem plastischen Chirurgen aus?«
    »Anästhetika, Beruhigungsmittel – Lidocain, Vicodin …«
    »Gibt es Überschneidungen mit den Behandlungsmitteln bei einem Neurologen?«
    Sie dachte nach und legte ihre gefurchte Stirn noch mehr in Falten. »Vielleicht Botox.«
    Als ich zu erkennen gab, dass mir das Wort nichts sagte, fuhr sie fort: »Botulinumtoxin. Neurologen verwenden es mittlerweile zur Behandlung bei zerebraler Kinderlähmung. Es hat einen paralytischen Effekt, man kann damit schwere Krampfanfälle behandeln, wenn andere Medikamente versagen.«
    »Ist das etwa das Gift, das Botulismus verursacht?«
    »Genau. Es ist eine außergewöhnlich gefährliche Substanz, deshalb dürfen Mediziner es nur in minimalsten Dosen intramuskulär verabreichen.«
    »Und warum findet sich das dann übehaupt bei Schönheitschirurgen?«
    »Sagen Sie bloß, Sie haben noch nie was davon gehört? Das ist doch der letzte Schrei, es reduziert die Stirnfaltenbildung.«
    »Sie machen Witze, oder?«
    »Man injiziert es unter die Haut an der Stirn, und dort legt es die Muskeln lahm, sodass der Patient nicht mehr die Stirn runzeln kann. Das lässt die Haut glatter werden und verleiht ihr ein jüngeres Aussehen.«
    Ich fuhr zurück zu Jesse. Jetzt gehörte also eine Gesichtslähmung zum Schönheitsideal – der neue Totenmasken-Look. Ich konnte es kaum fassen. Gar nicht auszudenken, wie Jesse auf die Vorstellung reagieren würde, dass eine Lähmung einem gut zu Gesicht stand.
    Kurz darauf rief er mich an. Wir verabredeten uns für später, wenn er mit der Arbeit fertig war. Ich erzählte ihm nichts von dem Botox. Die Sache kam mir einfach zu obszön vor.
    Doch langsam hatte ich das Gefühl, dass ich einer Lösung auf der Spur war, und versuchte es noch einmal bei Jorgensens Sprechstundenhilfe. Dieses Mal erreichte ich sie.
    »Bei dem Überfall wurden in erster Linie Schmerzmittel entwendet«, sagte sie.
    »Und was ist mit Botox?«
    »Hm, ist ja seltsam, dass Sie danach fragen.«
    »Wieso?«
    »Weil wir nur darauf gewartet haben, eine Woche später irgendwas über tote Drogensüchtige in der Zeitung zu lesen. Jeder, der sich das Zeug spritzt, fällt innerhalb von ein paar Tagen tot um. Und wissen Sie was? Das wäre eine gerechte Strafe gewesen. Aber anscheinend ist nichts passiert – vielleicht konnten die Räuber doch noch die Beschriftung auf den Ampullen entziffern.«
    Oder vielleicht hoben sie sich das Gift für eine besondere Gelegenheit auf.
    Beunruhigt stürzte ich mich in meinen Angstmacher Nummer eins, das Internet. Die Suche nach Botox rief Hunderte von Webseiten auf, von denen neunzig Prozent Schönheitschirurgen gehörten, die kaum mit der großartigen Nachricht hinter dem Berg halten konnten. »Dramatische Verbesserungen! Nur eine einzige Injektion kann Muskeln für bis zu sechs Monaten stilllegen.« Weiter unten auf der Liste wurden die Nachrichten schlechter.
    Botulinumtoxin als potenzieller biologischer Kampfstoff.
    Hier hatten wir es nicht mit den Schönheitstipps von Dr. Rex zu tun, die Seite gehörte dem Verteidigungsministerium. Ich musste nicht lange lesen, bevor mir die Spucke wegblieb: Neben Anthrax stand Botox ganz oben auf der Wunschliste jedes

Weitere Kostenlose Bücher