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Gottesdienst

Titel: Gottesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Gardiner
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diensthabenden Beamten. Ich flüchtete nach draußen und holte tief Luft. Ich hatte vergessen, wie intensiv das Blau des Himmels hier war. Der endlose Himmel ließ die gezackten Bergkämme, die den Horizont bildeten, zu Miniaturen schrumpfen. Trockene Luft, Wind, Felsen – langsam kamen die Erinnerungen an das Lebensgefühl in dieser Gegend wieder zurück.
    Hinter mir hörte ich ein Räuspern. Ich drehte mich um. Isaiah Paxton lehnte an einer Wand und säuberte sich die Fingernägel mit einem Taschenmesser.
    »Sie denken also, mein Gewehr sei eine Gefahr für Ihren Neffen. Was glauben Sie denn, wie viele Waffen sein Daddy in seinem Kriegsflugzeug hat?«
    Geh einfach weiter, dachte ich. Hör nicht auf ihn. Aber ich konnte nicht. »Jedenfalls keine Waffe, die jemals auf Luke gerichtet werden wird.«
    »Sie bringen den Jungen hierher, in diese Todeszone.« Sein Blick wanderte zum Marinestützpunkt. »Da drüben testen sie so ziemlich jede Waffe, mit der man eine Rakete bestücken kann, von Plutonium bis Anthrax. Dagegen ist mein Gewehr der beste Freund des Menschen.«
    »Was Sie für ein einsames Leben führen müssen. Ganz allein mit Ihren Illusionen.«
    »Ach ja, ich hatte vergessen, dass Sie auch so eine Marinegöre sind. Sie haben diesen Abfanghaken im Hirn.« Er wischte das Messer an seinen Jeans ab. »Glauben Sie, Ihr Bruder fliegt bloß in der Gegend rum und schießt auf Schafe und Hausattrappen? Wachen Sie auf. Sie testen die Dinger an bibeltreuen Christen.«
    Er hatte immer noch das Messer in der Hand. Um seinen bizarren Auffassungen und seiner kalten Wut auszuweichen, wandte ich mich wieder zur Eingangstür. Doch er versperrte mir den Weg.
    »Sie glauben mir nicht? Das Militär hat hier Millionen von Quadratmetern an Gelände, und wenn Sie den Fuß darauf setzen, werden Sie erschossen. Nicht weil die irgendwelche Wüstenpflanzen schützen wollen, sondern damit wir die Gefangenenlager nicht sehen.«
    »Bitte gehen Sie mir aus dem Weg.«
    »Wir nennen es den Großen Selbstbetrug«, sagt er, »wenn man ignoriert, was sich direkt unter der eigenen Nase befindet. Aber bei Ihnen glaube ich, dass Sie einfach nur stockdumm sind. Die Armee hat ihre Atombomben gezündet und ließ die Soldaten direkt durch das Zentrum der Explosion marschieren, direkt unter dem Atompilz. Für die hohen Tiere waren sie nicht mehr als Versuchskaninchen. Ich habe miterlebt, wie mein Vater deshalb an Lungenkrebs gestorben ist. Als junger Gefreiter wusste er es nicht besser, als den Befehlen der Vorgesetzten Folge zu leisten.« Er klappte das Messer zu. »Natürlich schonen sie ihre Einsatzkräfte heutzutage für die Invasion, deswegen führen sie die Versuche an Zivilisten durch. Aber das können sie nicht bei geschützten Minderheiten wie Schwulen und Itzigs, Niggern und Schlitzaugen machen, oder -«
    »Aufhören!« Ich drehte mich weg.
    Er hielt mich am Arm fest »Wenn der Mann spricht, hat die Frau gefälligst zuzuhören.«
    »Loslassen!«
    Seine Augen waren durchdringend blau, aber so bleich wie Wasserblasen. Sein Westernhemd roch nach Schweiß und Staub. »Und Sie erzählen niemals wieder einem Bullen, dass er mir mein Gewehr wegnehmen soll.«
    Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie sich die Eingangstür öffnete und eine lila Erscheinung ans Licht trat. »Isaiah.«
    »Das ist meine Angelegenheit, Chenille.«
    Ihr Ton wurde schärfer. »Ice«, rief sie. Es dauerte einen Moment, bis ich kapierte, dass sie immer noch mit ihm redete, Ice war sein Spitzname. Er warf mir einen vernichtenden Blick zu. »Niemals.« Er schubste mich zur Seite und machte sich auf zum Parkplatz.
    Ich holte tief Luft und wandte mich wieder der Tür zu, aber jetzt stand Chenille mit verschränkten Armen davor. Anscheinend hatte sie jetzt den Stab in der Strafpredigt-Staffel übernommen.
    »Sie haben den kleinen Jungen in ein Tier verwandelt. Es ist unglaublich«, sagte sie.
    Unter den messerscharf gezupften Brauen wirkten ihre Augen streng und alterslos grau. Sie hätte genauso Mitte dreißig wie Mitte vierzig sein können. Kein Wunder, dass es ihr gelang, als Tabithas Mutter durchzugehen.
    »Ich war noch nie so stolz auf Luke wie diesen Nachmittag.«
    »Stolz? Der Junge braucht keinen Stolz, er braucht Disziplin.«
    »Sie werden nie wieder mit ihm schimpfen. Wagen Sie es ja nicht noch mal, ihm mit dem Zeigefinger vor dem Gesicht herumzufuchteln.« Ich riss die Tür auf. »Ich werde Anzeige gegen Sie erstatten.«
    Ihr Gesicht wurde noch röter als ihr Pullover.

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