Gottesdienst
Chenilles babyblauer Wagen und der grüne Dodge. Ein gutes Dutzend Leute saßen darin. Ich konnte Curt Smollek erkennen und Shiloh und Glory, meinen ehemaligen Fan. Mich durchzuckte eine unangenehme Vorahnung wie ein elektrischer Schlag.
Ein gefleckter Hund streckte seinen Kopf aus dem Führerhaus von Chenilles Wagen und begann durchdringend zu bellen. Es hörte sich an wie Gewehrfeuer.
Hinter dem Pickup wartete Tabitha, neben ihr Peter Wyoming. Er hatte einen Arm um sie gelegt und redete mit gesenktem Kopf auf sie ein. Der Blick, den sie ihm zuwarf, kam mir bekannt vor: das Biest war zurückgekehrt. Ich holte tief Luft. Hoffentlich hatte Brian das nicht gesehen. Aber natürlich hatte er das. Darum war es den beiden da drüben ja gegangen.
»Steig einfach in den Wagen, Brian«, murmelte ich.
»Wenn Sie meinen, dass die Angelegenheit damit erledigt ist, täuschen Sie sich«, rief Paxton.
Das Ganze sollte wohl so eine Art Straßentheatervorstellung werden. Ich legte meine Hand auf Brians Rücken und versuchte ihn zum Weitergehen zu bewegen, aber er konnte die Sache genauso wenig ignorieren wie ich vorhin. Sein Gesicht war tiefrot angelaufen. Er setzte Luke ab und befahl ihm, nicht von meiner Seite zu weichen.
Brian ging auf Wyoming zu. »Hey, Sie! Sie falscher Heiliger!«
Wyoming rührte sich nicht. Er stand da, tätschelte Tabitha und sah dabei aus wie ein Model für Westernbekleidung: Kordelschlips über einem weißen Smokinghemd, braune Jeans mit aufwändigen Stickereien und hellbraune Cowboystiefel.
Brian wurde lauter. »Hey! Es ist höchste Zeit, dass Sie sich wieder in die Appalachen verziehen und dort Ihre Schlangen beschwören! Kapiert?«
Wyomings völlige Gleichgültigkeit bewies mir, dass er sehr wohl zuhörte. Auf einmal verstand ich, was die größte Kunst dieses Mannes war: nicht dass er die Leute zu Jesus führte, sondern dass er seine Gegner in den Wahnsinn trieb.
Jetzt trat Paxton auf Brian zu. »Warum zeigen Sie nicht mal ein bisschen Anstand und halten den Mund, anstatt hier die Arbeit des Herrn zu unterbrechen?«
»Warum verpissen Sie sich nicht einfach?« Brian drängte sich an ihm vorbei und ergriff Wyomings Arm. »Sie lassen mich und meine Familie jetzt in Ruhe. Kapiert? Sonst wird es Ihnen und Tabitha und all Ihren Anhängern bis zu Ihrem schweinsgesichtigen Hund leidtun, das schwöre ich. Dann sorge ich nämlich höchstpersönlich dafür, dass Sie unter die Erde kommen, und zwar so weit, dass Sie durch einen Gully kriechen müssen, um den Himmel zu sehen.«
Wyoming hatte einen seltsamen Ausdruck im Gesicht. Er starrte Brians Hand an, als ob sich sein Fleisch unter ihrer Berührung auflösen würde. Plötzlich riss er sich mit einem Ruck los und bleckte die Zähne. »Was sind Sie?«
Wir starrten ihn an. Er rieb sich heftig den Arm. Tiefe Furchen zeigten sich in seinem Gesicht. »Sie legen Hand an mich, aber Sie sind nicht einmal da …«
Tabitha stand da wie versteinert, die Hand auf den Mund gepresst. Shiloh erhob sich jetzt und deutete auf Brian. »Denn wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit …« – ihre Stimme erbebte – »mit den Herren der Welt, die in dieser Finsternis herrschen …«
Chenille hielt den Zeitpunkt für gekommen, um einzugreifen. »Das müssen wir uns nicht anhören. Peter, steig in den Wagen.«
Er bewegte sich wie ein Roboter. Chenille nickte Paxton zu, und er half ihr, Wyoming in den Pickup zu bringen. Sie warf die Tür zu, ging zur Fahrerseite und startete den Motor.
Wyoming drückte von innen seine gespreizten Handflächen gegen die Scheibe. Seine Augen waren vor Furcht weit aufgerissen, und wir konnten seine gedämpfte Stimme durch das Glas hören. »Was versuchen Sie mir anzutun?«
Wir holten meinen Explorer vom Highway ab und besorgten bei McDonald’s etwas zu essen für Luke. Dann fuhren wir zu Brian. Er lebte in einem beigen Stuck-Fertighaus mit einer neongrünen Rasenfläche von der Größe einer Tischtennisplatte. Umzugskisten und billige Sperrholzmöbel füllten das ganze Haus. Brian setzte Luke an eine zum Esstisch umfunktionierte Kiste und schaltete den Kinderkanal an. Luke wirkte abwesend. Brian plapperte munter drauflos und versuchte Luke in das Gespräch einzubinden, aber er hatte nicht viel Glück dabei. Magst du Ketchup auf deinen Hamburger? Soll ich die Gurke runternehmen? Wie steht’s mit Fernsehen, sollen wir nachsehen, ob Scooby Doo kommt? Ach, das schaust du gar nicht mehr? Oh. Peinliche Stille.
Als
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