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Gottesdienst

Titel: Gottesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Gardiner
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gutmütiges Gesicht, ein bisschen wie ein Bernhardiner. Ich konnte ihn mir gut in der Zahnarztpraxis vorstellen, wie er ängstliche Kinder beruhigte und dezent den Bohrer aufheulen ließ.
    »Lass mich noch dieses Spiel zu Ende bringen«, sagte Abbie. Sie schob ihre Brille hoch, schritt um den Tisch und besah sich die Lage der Kugeln, bevor sie den Tisch abräumte. Als sie sich das letzte Mal über den grünen Filz gestreckt und ihre Kugel versenkt hatte, sagte Wally nur »Scheiße« und ging weg.
    Sie warf den Kopf in den Nacken und lachte laut. »Es ist immer das Gleiche mit ihm. Wenn er nicht gewinnt, verhält er sich wie ein Zweijähriger.« Sie winkte mich näher heran. »Aber im Bett ist er eine Rakete, und kostenlose Zahnbehandlungen bekomme ich auch.«
    Damals in der Schule war sie ein wildes Mädchen gewesen, gewillt, alles Mögliche auszuprobieren, wenn sie nur genug Chemie intus hatte. So sah es also aus, wenn sie ein geordnetes Leben führte.
    Jetzt ließ sie sich in einen Stuhl fallen. »Also, wie ist es dir ergangen? Was hast du getrieben, nachdem ich dich in deinem letzten Jahr so in die Bredouille gebracht habe? Bist du Rennfahrerin geworden? Oder Friseurin? Oder Nonne, oder was?«
    Die Musik wummerte durch die Bar, die Band war inzwischen bei »Sweet Child O’Mine« angelangt. »Ich bin Schriftstellerin«, antwortete ich.
    Sie ließ die Faust auf den Tisch krachen. »Wie cool ist das denn! Hast du irgendwas Bekanntes geschrieben?«
    Wally kam zurück, mit drei Bier in der Hand. »Gut gespielt, Killer.«
    »Mausebär, Evan ist Schriftstellerin.«
    »Tatsächlich? Hab ich von Ihnen gehört?«
    Diese Frage leitet unvermeidlich das Vorspiel zu einer Situation ein, die für mich jedes Mal in Peinlichkeiten endet.
    Trotzdem erzählte ich ihm, dass ich ein Buch namens Lithium Sunset geschrieben hatte.
    »Nee. Echt?« Ich nickte. Er lehnte sich zurück und rief einen Mann von der Bar zu sich. »Chet, das hier ist die Braut, die Lithium Sunset geschrieben hat.«
    Chet war Chemieingenieur mit einem Grateful-Dead-T-Shirt, und er hatte ein paar Freunde dabei, allesamt Raketenwissenschaftler. Sie drängten sich um unseren Tisch. Und sie hatten Fragen an mich.
    »Wenn die Mutanten im Untergrund auf Jagd gehen, benutzen sie dann ein Echolot?«
    »Warum nutzt die Rebellin nicht ihre psychokinetischen Kräfte, um das Waffenarsenal in die Luft zu sprengen?«
    »Die Heldin, diese Rowan«, sagte Chet, »die ist wirklich ziemlich heiß.«
    Wer hätte das gedacht? In einer Cowboy-Bar mitten in der Wüste fand ich meine Fans. Ich trank mein Bier und begann mich wieder etwas besser zu fühlen.
    »Wie sind Sie auf den Titel des Buches gekommen?«, fragte Wally.
    »Der Titel bezieht sich auf die Nuklearexplosion.«
    »Klar«, sagte Chet, »das kommt vom Treibstoff, der die thermonukleare Verbrennung auslöst.«
    »Aaah.«
    »Natürlich.« Die Raketenwissenschaftler nickten sich zu.
    »Es ist eine Metapher«, fügte ich hinzu, »für das Ende und -«
    »Allerdings ist die Beschreibung nicht ganz korrekt. Moderne Sprengsätze benutzen kein reines Lithium mehr in der zweiten Zündstufe.«
    Rakete eins deutete mit dem Hals seiner Bierflasche auf mich. »Und wie ein Sonnenuntergang wirkt die Explosion übrigens auch nicht, eher wie eine alles verschlingende Dämmerung, die mit Strahlung nur so um sich schießt.«
    »Genau genommen hätten Sie es Lithium-Deuterid Sunrise nennen müssen«, sagte Chet.
    »Ach so.«
    »Absolut.«
    »Werden Sie noch mehr Geschichten schreiben, in denen Rowan einen Typen vernascht?«
    »Jungs!«, rief Abbie. »Das reicht.«
    Zwei Bier später waren sie verschwunden. Bis dahin hatte ich abwechselnd mit ihnen, mit Wally und mit Abbie getanzt. Wir hatten uns auf die Tanzfläche gequetscht, als die Band »Livin’ la Vida Loca« anstimmte. Als ich die Bar verließ, glühten Abbies Wangen vom Alkohol und vom vielen Lachen. Sie nahm mich fest in die Arme und verabschiedete sich mit einem wehmütigen Blick – so als ob noch etwas offen wäre zwischen uns. Ich war schon fast bei meinem Wagen, als ich sie meinen Namen rufen hörte. Wegen ihres kaputten Knies humpelte sie etwas steif auf mich zu.
    Die Markisenbeleuchtung ließ ihr blondes Haar erstrahlen. Sie verzog das Gesicht.
    »Mist. Ich hab es dir vorher nicht gesagt, weil ich nicht gerne meine eigenen Fehler eingestehe. Ich wollte mich bei dir dafür entschuldigen, dass ich an deiner Verhaftung schuld war. Ich hätte das nicht so auf die leichte Schulter

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