Gottesdienst
Den Kick beim Abdrücken kann man durchaus wörtlich nehmen. Aber ich wollte nicht, dass dieser Kick in greifbarer Nähe in meinem Haus herumlag. Ich besaß keine Waffe und wollte auch keine besitzen.
Die Diskussion begann nach dem Abendessen mit einem Streit wegen Jesse. Als er anrief, kümmerten Brian und ich uns gerade um den Abwasch, danach wollten wir mit Luke in den neuesten Disney-Film gehen. Ich erzählte Jesse alles, was passiert war, und sprach mit ihm über die einstweilige Verfügung, die ich erwirken wollte. Aber in erster Linie versuchte ich mich am Klang seiner Stimme wieder aufzurichten. Er hatte etwas Interessantes über eine Familie herausgefunden, die den Standhaften den Rücken gekehrt hatte und über die Kirche sprechen wollte. Nach einer Weile übergab ich den Hörer an Luke und half Brian, die Spülmaschine einzuräumen. Wir konnten Lukes Anteil am Gespräch mithören: Es bestand aus wenig mehr als ein paar Jas und Mhhmms, Jesse übernahm ganz offenbar den Hauptteil der Konversation. Brian hatte mir den Rücken zugekehrt und schrubbte eine Pfanne.
»Ich möchte nicht, dass Jesse einen Gerichtserlass erwirkt.«
»Bitte, Brian, lehn die Idee nicht von vornherein ab. Eine einstweilige Verfügung beschützt dich und gibt dir eine Handhabe vor Gericht.«
»Ich meine eigentlich, ich möchte nicht, dass er sich darum kümmert. Ich brauche keinen Rechtsanwalt in Santa Barbara. Ich werd mir hier einen suchen.«
»Ich habe ja nur gedacht -«
»Das fällt unter meine Verantwortung. Ich werde mich darum kümmern.«
»Jesse ist ein guter Anwalt.«
»Aber Jesse ist nicht Lukes Vater. Das bin zufällig ich.«
Ich stand da, das Abwaschwasser tropfte mir von den Händen. »Brian, das habe ich nicht für eine Sekunde vergessen.«
Im Wohnzimmer kicherte Luke am Telefon. »Iiih, das ist ja eklig.«
Brian verzog das Gesicht. In mir regte sich ein ungutes Gefühl.
Brian und Jesse waren von Anfang an nicht besonders gut miteinander ausgekommen. Vom ersten Moment an gingen sie sich gegenseitig auf die Nerven. Brian und Tabitha waren zu Besuch, und Jesse und ich hatten uns mit ihnen im Palace Grill verabredet, wo es praktisch unmöglich war, einen miesen Abend zu verbringen. Es gab dort Cajun Food, redselige Gäste und Musik von Louis Armstrong. Tabitha war bester Laune und fütterte Brian mit den Worten »Baby, das wird dir schmecken« mit Häppchen von ihrem Flusskrebs-Étouffée. Auf einem Schild an der Wand stand Laissez les bon temps rouler.
Aber das Einzige, was rollte, war Jesse, und genau da lag das Problem. Als er die beiden begrüßte, wich Brians Selbstsicherheit einer unbeholfenen Zurückhaltung mit den typischen Symptomen: anstarren, nach Worten suchen und Jesse mit Lob überhäufen. Sie sind also Anwalt? Da haben Sie ja ziemlich was erreicht. Sie haben ein eigenes Haus, das ist ja großartig. Und Jesse antwortete ziemlich scharfzüngig. Er schoss mit seinem Sarkasmus um sich wie mit einer Kanone.
Als Brian die Weinkarte begutachtete, wandte er sich leise an mich. »Trinkt Jesse Alkohol?«
»Nicht heute Abend«, antwortete Jesse. »Er muss noch fahren. Aber er kann sprechen.« Dann nahm er seine Gabel. »Er kann sogar schon alleine essen.«
Und später, dabei ertappt, wie er den Rollstuhl fixierte, meinte Brian: »Der sieht ja richtig sportlich aus. Du musst’ne Menge Basketball spielen.«
»Hab ich noch nie gemacht.«
Ich versuchte die Situation zu retten. »Jesse ist ein Schwimmer. Er hat in seinem Abschlussjahr die Nationalen College-Meisterschaften im 200 Meter Delfin gewonnen.«
»Echt? Ist ja toll«, meinte Tabitha. Brian schaute ihn nur verblüfft an, und Jesse wusste genau, dass Brian sich jetzt fragte, ob es vor oder nach dem Unfall gewesen war.
»Ja, man muss gut aufpassen, dass einen der Rollstuhl nicht auf den Grund zieht«, sagte Jesse. Er wartete kurz, um sicherzugehen, dass Brian auch verunsichert war. »Und du kannst dir überhaupt nicht vorstellen, wie rau es bei einem Rollstuhl-Tauchwettkampf zugeht.«
An der Wand hing ein ausgestopfter Alligator. Am liebsten hätte ich ihm den Kopf ins Maul gesteckt und den Ober gebeten, zuzudrücken.
Hinterher war Brian sauer auf mich, weil ich sauer auf ihn war. »Hätte doch möglich sein können.«
»Das ist ein totales Klischee! Rollstuhl-Basketball, mein Gott, wo lebst du denn?«
»Der Typ hat einen riesigen Komplex.«
»Vielleicht bringst du ihn auch dazu, sich von seiner schlechtesten Seite zu zeigen.«
»Ja, klar. Als
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