Gottesdienst
Abendessen wurde es schnell dunkel. Als ich Luke ins Bett gesteckt hatte, fand ich Jesse auf dem Sofa. Er schaute sich die Wiederholung einer alten Folge von Akte X an. Er hatte die Lippen zusammengepresst und die Schultern hochgezogen. Die Pillen wirkten nicht. Ich stellte mich hinter das Sofa und begann seinen Nacken und seine Schultern zu massieren. Ich konnte die verkrampften Muskeln spüren, die sich mir widersetzten.
Ich tätschelte ihm die Schulter. »Leg dich auf den Boden.«
Er legte sich rücklings auf den Teppich, ich kniete neben ihm nieder und begann abwechselnd seine Beine zu strecken. Ich bog seine Knie, drehte seine Fußknöchel, bewegte die Hüften, arbeitete mit seinen Oberschenkelmuskeln und Waden. Ich hatte zwar keine Ausbildung als Physiotherapeutin, aber ich wusste, dass seine Bewegungsfähigkeit erhalten werden musste, damit es nicht zu Versteifungen in den Gelenken und Muskelverkürzungen kam, die ihn noch weiter behindern würden. Er lag angespannt vor mir. Die Lichter waren fast alle aus, nur der Fernseher flimmerte: Mulder stellte den geheimnisvollen Raucher zur Rede. Stimmungsvolle Beleuchtung.
»Warum hat der Mörder wohl Pastor Petes Leiche verbrannt?«, fragte Jesse plötzlich.
Schlagartig waren die hämmernden Kopfschmerzen wieder da, und die Wespenstiche juckten wie verrückt.
»Vielleicht war er ein Psychopath, oder er wollte Beweise vernichten.«
»Er?«
»Oder sie. Oder vielleicht waren es mehrere.«
Er stützte sich auf seine Ellbogen. »Wenn der Mörder die Beweise vernichten wollte, warum hat er die Leiche dann nicht einfach in der Wüste verscharrt? Das macht die Mafia auch.«
»Vielleicht hatte er Angst, die Nachbarn könnten ihn beim Abtransport beobachten. Ich weiß auch nicht, womöglich war er zu Fuß unterwegs und konnte die Leiche gar nicht transportieren.«
»Ich glaube, es war anders. So wie der Mörder die Leiche in der Mülltonne platziert hat – das sieht mir nach einem Ritual aus. Oder nach einer Art Raserei.«
Für einen Moment lauschten wir der Brandung vor dem Haus. Jesse streckte die Hand aus. Ich half ihm, sich aufzurichten. Er zog die Füße an und saß dann im Schneidersitz mit dem Rücken gegen die Couch gelehnt.
»Glaubst du immer noch, dass die Standhaften große Pläne haben?«, fragte er.
Ich massierte mir die Schläfen. »Ja.«
»Glaubst du, dass der Tod von Pastor Pete sie aus dem Konzept gebracht hat?«
»Nein, Chenille hat eher das Gegenteil angedeutet: Dass sie jetzt mehr denn je bereit sind, gegen den Antichrist in die Schlacht zu ziehen.« Ich dachte nach. »Das hat mich an was erinnert, das Nikki gesagt hat. Dass wir auf der Hut vor einem Ereignis sein sollten, das die Standhaften davon überzeugen könnte, dass das Ende vor der Tür steht.«
»Und dass ihr Anführer wie eine Fackel abbrennt, könnte dieses Ereignis sein.«
»Ja, genau das macht mir Angst.«
Er nahm meine Hand und ließ seine Finger an der Innenseite meines Arms entlanggleiten. Selbst unter diesen Umständen elektrisierte mich seine Berührung.
»Aber ich komm einfach nicht drauf, wie es in ihren Plan passen könnte, Brian in die Sache reinzureiten. Wenn es überhaupt passt«, sagte ich.
»Du bist verdammt loyal Brian gegenüber, weißt du das?«
Sein kühler Blick verriet mir, dass diese Aussage nicht unbedingt als Kompliment zu verstehen war. Langsam fügte er hinzu: »Ev, hast du schon mal darüber nachgedacht, dass er kein Alibi hat?«
Ich hatte ihm nichts von Marc Duprees Weigerung erzählt, ihn zu entlasten. »Ich glaube, einer seiner Freunde kann ihm ein Alibi verschaffen.«
»Ein Marineoffizier?«
»Ja, ein Pilot, ein Commander.«
»Na, dann müsste er ja in Windeseile wieder draußen sein.«
»Wie meinst du das?«
Er blickte auf den Fernseher. Mulder und Scully kamen sich nahe, aber natürlich nicht zu sehr. »Ich meine, dass du die U.S. Navy in den Himmel hebst. Die Polizisten hier hältst du für einen Haufen hirnloser Dorftrottel, während die Navy für dich über allem steht. So leid es mir tut, aber die Gesetzeshüter beten die Navy nicht so an wie du.«
»Das ist ziemlich drastisch ausgedrückt.«
»Aber zutreffend. Der Polizei von China Lake ist es egal, dass Brian ein Kampfpilot ist. Aber du merkst das nicht, weil du ihn vergötterst.«
»Das ist unfair.«
»Du fällst auf die Knie, schaust weder links noch rechts und denkst nicht einmal an die Möglichkeit, dass er dir nicht die ganze Wahrheit erzählt. Er hat Peter Wyoming
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