Gottesgericht
zurück. »Tut mir leid, wenn ich mich nicht beeindruckt zeige, aber Sie haben mir gerade ein paar handschriftliche Absätze gezeigt, in denen davon die Rede ist, dass ein Engelsquartett an einer Kirchenwand erscheint und Belisarius’ Soldaten sich aus einem wässrigen Grab erheben. Sind das Ihre Beweise?«
Jane hatte eingeplant, dass Orhun ein wenig skeptisch sein würde, aber dass er es so abtun würde, hatte sie nicht erwartet. Doch für einen kurzen Moment sah sie es aus seiner Perspektive und erkannte seine Reaktion als gerechtfertigt. Vielleicht hatte sie Lavelle zu sehr glauben wollen, und vielleicht hatte ihre Abneigung gegen KOSS sie blind gemacht. Sie kam sich plötzlich klein und dumm vor.
»Äh … Sie müssen es im Zusammenhang sehen«, versuchte sie, Boden gutzumachen. »Diese Leute haben bei früherer Gelegenheit schon eine Prophezeiung Gormans zum Leben erweckt. Es wäre ein erstaunlicher Zufall, wenn eine andere Gruppe dasselbe tun würde.«
»Aber Sie und Ihr verstorbener Freund haben nur ein paar vage Ähnlichkeiten aufgegriffen. Und es macht mich ein wenig misstrauisch, dass es handschriftlich ist. Warum hat er Ihnen nicht einen Scan oder eine Fotokopie der fraglichen Seite geschickt?«
Jane seufzte. »Weil er dabei war zu sterben. Er hatte keine Zeit.« Sie fühlte sich jetzt unsicher. War es möglich, dass Lavelle die Prophezeiung erfunden oder ausgeschmückt hatte, weil sein Verstand von der Krankheit oder den Medikamenten, die er dagegen nahm, in Mitleidenschaft gezogen gewesen war?
Orhun stand auf. »Wissen Sie was? Ich denke darüber nach, während ich weg bin. Vielleicht strecke ich meine Fühler ein wenig nach diesen … wie sagten Sie … KOSS aus. Jetzt essen wir erst mal einen Happen.«
Jane legte das Kuvert beiseite und folgte ihm widerwillig zum Sideboard.
Orhun goss Jane Kaffee aus einer Kanne ein und schenkte sich dann selbst eine Tasse aus einem Kupferkessel mit langem Stiel ein. »Türkischer, natürlich«, erklärte er. »Wahrscheinlich ein bisschen zu stark für Ihren Geschmack.«
Sie wollte gerade eine Bemerkung machen, als das Telefon auf seinem Schreibtisch läutete.
»Entschuldigen Sie, ich muss das annehmen«, sagte er und ging zur anderen Seite des Raums.
Während Jane mit ihrem Sandwich und dem Kaffee zu ihrem Platz beim Kamin zurückkehrte, stand Orhun an seinem Schreibtisch und unterhielt sich auf Türkisch.
Jane biss in ihr Sandwich, und der Geschmack ließ sie sofort an die Basilikata denken. Dann fiel ihr Giuseppes E-Mail ein, auf die sie nicht geantwortet hatte. Wenigstens hatte sie ihm und Lucia eine kleine Dankeschön-Nachricht mit der Post geschickt.
Einige Minuten später saß Orhun im Profil zu ihr an seinem Schreibtisch, hatte die Beine hochgelegt und unterhielt sich angeregt mit seinem Anrufer. Sie beschloss, die Gelegenheit zu ergreifen und zu gehen, statt zu warten und sich weiteren Peinlichkeiten auszusetzen. Dann wäre sie auch rechtzeitig zur Programmsitzung im Sender zurück, die sie eigens auf zwei Uhr verschoben hatte, weil sie den guten Kontakt zu ihrem Team wiederherstellen wollte.
Sie aß ihr Sandwich auf und trank einen letzten Schluck Kaffee. An der Tür hustete sie kurz. Orhun drehte sich herum, und sie machte ihm ein Zeichen, dass sie ging.
Er legte die Hand auf den Hörer. »Tut mir leid, Jane«, sagte er und deutete auf das Telefon. »Ich melde mich.«
Sie nickte und ging hinaus. Zu ihrer Erleichterung war Sema nicht an ihrem Platz. Jane ging nach unten, wo die Empfangsangestellte sie hinausließ. Draußen auf der Treppe holte sie tief Luft. Sie hatte das Gefühl, es könnte eine Weile dauern, bis sie Orhun wieder traf.
34
Bei der Programmbesprechung herrschte eine gewisse Anspannung, aber Jane bemühte sich sehr, die Atmosphäre aufzulockern, indem sie sich über die für die Sendung am nächsten Morgen vorgeschlagenen Themen so begeistert wie möglich zeigte. Einer der Programmpunkte war ein Interview mit dem britischen Vulkanologen, der behauptete, der Vesuv in Italien zeige Anzeichen eines bevorstehenden Ausbruchs. Joe Brady, der den Beitrag vorbereitet hatte, scherzte, das würde wenigstens von der Situation im Nahen Osten ablenken.
Auf dem Weg zu ihrem Schreibtisch kehrten Janes Gedanken an die Szene in der Botschaft zurück, als sie Orhun Lavelles kaum zu entziffernde Notizen als Beweis präsentiert hatte. Allein der Gedanke ließ sie erröten. Wie hatte sie so naiv sein können anzunehmen, er würde ihr glauben? Und
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