Gottesopfer (epub)

ließ sich nicht einschüchtern.
    Â»Der Teufel ist ein gefallener Engel, der sich Gott nicht unterwerfen wollte. Und doch gehört auch er zu Gottes Plan.«
    Sam beschloss, mit der Nonne nicht weiter über Gott, seinen Plan oder den Teufel zu diskutieren. Er bedankte sich für ihre Hilfe und stand auf. Er war froh, als er im Auto saß und sich auf den Weg zu Juri nach Burghausen machte.

46
    BURGHAUSEN
    Als Sam morgens aus dem Gasthof auf die Straße trat, konnte er die Burg in ihrer vollen Pracht sehen. Der mittelalterliche Bau lag über dem Talkessel auf einem Granitkegel und war umgeben von hohen Bäumen, denen zu dieser Jahreszeit das Blätterwerk fehlte, um die Kahlheit der großen Steinquader zu bedecken. Weil die Sonne direkt dahinter stand, musste Sam die Augen mit der Hand abschirmen, um das alte Mauerwerk mit seinen Zinnen und dem hoch aufragenden Turm betrachten zu können.
    Sam machte sich an den Aufstieg. Im Gasthof hatte er beim Frühstück eine Nachricht von Juri vorgefunden, dass dieser schon auf die Burg gegangen sei und sie sich dort treffen würden. Sam ging zügig und überholte eine ganze Gruppe in bäuerlicher Kleidung. Sie trugen Kittel, braune Leinenhosen und Bundschuhe aus dunklem Schweinsleder sowie mit Leinentüchern zugedeckte Körbe. Wahrscheinlich Lebensmittel, dachte Sam. Und tatsächlich guckte aus einem Korb ein Huhn heraus und pickte an dem Korbgeflecht herum. Als Nächstes kamen ihm zwei Frauen in Kleidern mit weiten Trompetenärmeln und üppigen Brokatborten entgegen. Die eine war ganz in Smaragdgrün gekleidet, die andere in Blau. Auf dem Kopf trugen beide weiße Schleier mit Perlenkronen. Ihnen folgte eine Gruppe junger Männer, die in Waffenröcken und mit Schwertern klirrend an Sam vorbeimarschierten. Offenbar nahm die ganze Stadt an dem mittelalterlichen Burgfest teil. Sam, der sich zuerst mit seinen roten Beinlingen – einer Art Strumpfhose – und einer äußerst knappen Ärmeljacke ziemlich albern vorgekommen war, war erleichtert.
    Der Weg führte steil bergauf, vorbei an einer kleinen Kirche und ein paar Häusern, bis Sam schließlich zu einem vorgelagerten Hof kam, auf dem Stände aufgebaut waren. Hier konnte man Kerzen, Silberschmuck, Ledersachen und Keramiken kaufen.Ein gewölbter Torbogen führte ins Innere des Burghofes. Als Sam den Hof betrat, fühlte er sich um Jahrhunderte zurückversetzt. Staunend sah er sich um und entdeckte einen Schmied in einer braunen Schweinslederschürze, der mit einem Hammer die Klinge eines Schwertes bearbeitete, einen Töpfer, der einen Krug auf einer Tonscheibe formte, einen Sattler, einen Besenbinder, der einen Berg Schweineborsten und Pferdehaare vor sich hatte, und Kinder, die kreischend zwischen den Leuten herumliefen. Selbst sie waren kostümiert. Am anderen Ende des Hofes buhlten zwei Minnesänger um die Gunst eines Burgfräuleins, das aus einem der oberen Fenster herabsah. Ein singendes Duell, das durch schiefe Töne dominiert wurde.
    Alles war so perfekt, dass es Sam nicht schwerfiel, sich in die dunkle Zeit des Mittelalters, in der Macht vor Recht galt, hineinzuversetzen. Plötzlich hörte Sam hinter sich Hufe klappern und wich gerade noch rechtzeitig zurück. Durch den Torbogen fuhr ein Pferdegespann mit einem großen Holzkäfig, in dem drei Frauen in weißen Leinenkitteln standen und sich an den Holzstäben festhielten, um nicht herumgeschleudert zu werden. Ihre Haare waren lang und verfilzt, ihre Gesichter schmutzig. Dem Gespann folgten ein paar Schwarze Brüder, wie Professor Patzold sie genannt hatte: dominikanische Mönche, die Kapuzen der schwarzen Kutten tief ins Gesicht gezogen. Eben wollte er auf eine Holzbank in einer Ecke zusteuern, um sich erst einmal einen Überblick über das bunte Treiben zu verschaffen, als ihm jemand auf die linke Schulter tippte. Sam drehte sich um und stand vor Professor Patzold, der in ein Magiergewand gehüllt war und ihn angrinste.
    Â»Schön, Sie hier zu sehen, Herr O’Connor. Wie gefällt Ihnen unser mittelalterliches Schauspiel?«
    Â»Es ist ohne Worte. Alles sieht so … echt aus.«
    Â»Das ist auch Sinn der Sache. Kommen Sie, ich mache eine kleine Führung mit Ihnen.«
    Sie gingen weiter bergauf, wo der Rummel weniger wurde. Der Professor deutete auf einen Gebäudeteil links von ihnen.»Das ist der Palas. Dort befindet