Gottessoehne
es kurz in der Neonröhre und ihr helles Aufleuchten wurde mit einem dankbaren Seufzer von Kate und den anderen Passagieren begrüßt. Kate ließ nun die Augen durch den erhellten Wagon wandern. Sie sahen alle ganz harmlos aus, wie sie auf ihren Bänken saßen oder sich an die Haltegriffe, die von der Decke hingen, klammerten und dabei versuchten, tunlichst jeden Augenkontakt mit ihrem Gegenüber zu vermeiden.
An der gläsernen Schiebetür stand ein Mann mittleren Alters mit einem langen schwarzen Bart, der leise, mit rhythmisch wiegendem Oberkörper, in einem Buch las. Die Sprache erschien ihr fremd, vielleicht arabisch oder hebräisch. Er nahm seine Umwelt nicht wahr und sie hatte Gelegenheit, ihn heimlich zu mustern. Seine modernen Turnschuhe passten so gar nicht zu seinem dunklen Kaftan und unwillkürlich musste Kate grinsen. Da hörte der Mann mit seinem Gemurmel auf und sah sie vorwurfsvoll an. Kate wand verlegen ihren Blick ab und schaute in die andere Richtung. Dann endlich hielten sie an der U-Bahn-Station, Rockefeller Center.
Außer Atem kam sie endlich an dem riesigen Wolkenkratzerkomplex an, der sich über dem luxuriösen Einkaufscenter erhob und tippte erneut Sams Nummer in ihr Handy. »Hi Sam, ich muss ganz schnell zu meiner Schwester, die überraschend nach New York gekommen ist. Es scheint ihr nicht gut zu gehen, irgendetwas ist passiert.«
»Bleib da, wo du bist, ich komme sofort nach.«
»Ich weiß nicht, sie will mit mir alleine reden. Und wenn du dabei bist kriegt sie bestimmt keinen Ton heraus. Sie würde nicht begeistert sein…«
Ein Knacken in der Leitung, dann nur noch Rauschen. Verwirrt starrte sie auf das dunkle Display und wollte gerade auf Wahlwiederholung drücken, als ihr jemand auf die Schulter tippte. Sie drehte den Kopf nach hinten und erschrak. Das metallische Aufblitzen der Piercings im Gesicht des jungen Mannes ließ ihren Magen rebellieren. Doch dann verzog sich der Mund des Mannes zu einem breiten Grinsen. »Hast du mal 'nen Dollar für mich?« Es war nur einer der zahlreichen Obdachlosen New Yorks, der sein Glück bei den vielen Konsumwilligen am Rockefeller Center versuchte und nicht einer der Angreifer vor einigen Tagen. Aus lauter Erleichterung schenkte Kate dem jungen Mann, dem sein fettiges schwarzes Haar tief ins Gesicht fiel, ein so freundliches Lächeln, dass dieser vor Überraschung über so viel Freundlichkeit, sein Vorhaben vergaß, ihr grinsend zunickte und weiterging.
Kate zwängte sich durch die Tischreihen des Starbucks Cafés und umarmte ihre Schwester. Susan erwiderte die Umarmung nur zögerlich und ließ die Arme sinken. Kate setzte sich auf einen der Holzstühle, während sie Susan aufmerksam musterte. Die Augen des jungen Mädchens waren rot verheult, dunkle Ringe lagen darunter. Ihre Mundwinkel zuckten. Voller Sorge griff Kate nach der schmalen Hand ihrer Schwester, diese zog sie sofort zurück und überreichte ihr stattdessen die Getränkekarte. »Ich habe der Kellnerin gesagt, ich warte mit der Bestellung, bist du da bist.«
Ein ungewöhnliches Schweigen herrschte an ihrem Tisch, als die Kellnerin zwei dampfende, große Becher heißen Kaffee servierte. Kate wartete, bis Susan das erste Mal an ihrem Kaffee genippt hatte, beugte sich dann vor und fragte mit gedämpfter Stimme: »Möchtest du mir nicht verraten, wieso du ohne Vorwarnung und mutterseelenallein nach New York gekommen bist, und warum du mich so dringend sprechen willst?« Susan strich sich ein paar feine blonde Haare aus dem Gesicht, schluckte, setzte ein schiefes Lächeln auf und nickte bedächtig. »Ich glaube, du bist die einzige, die meine Situation versteht. Schließlich hat die Liebe auch bei dir unerwartet und wie ein Blitz eingeschlagen.«
Kate blickte irritiert auf den Mund ihrer Schwester. Irgendetwas war anders. »He, du trägst ja keine Zahnspange mehr.«
»Ja«, Susans Zunge strich kurz über ihre vorderste Zahnreihe. »Die brauch ich jetzt nicht mehr. Ich war erst gestern beim Zahnarzt und er war meinte wortwörtlich, es sei erstaunlich, dass meine Zähne schon nach so kurzer Zeit wieder sauber in Reih und Glied stünden.«
»Das sind doch gute Nachrichten, aber um mir das zu berichten, bist du bestimmt nicht hier. Also, wenn ich dich richtig verstehe, geht es um einen Jungen. Hast du dich etwa verliebt?« Susans hellgrüne Augen begannen zu leuchten. »Ja, stell dir vor, ich habe mich verliebt. Er ist einfach der tollste Junge, den du dir vorstellen kannst. Obwohl, als
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