Gottesstreiter
fast umgeritten hätte. Ein ähnliches Kunststückchen hätte sich kein Page,
kein Knappe und kein Junker erlaubt, weil er sich der Konsequenzen mit dem Ochsenziemer bewusst gewesen wäre. Dieser Page
schien derlei Konsequenzen nicht zu befürchten. Wahrscheinlich deshalb, weil er gar kein Page war.
Unter dem lässig aufgestülpten Barett blickten zwei bis zur Unverschämtheit kühne Augen auf die Ritter herab. Sie hatten die
Farbe eines Bergsees und waren umrahmt von Wimpern, die etwa einen halben Zoll lang waren. Die frech aufwärts gebogene Nase
bildete einen leichten Gegensatz zu den blonden Locken, den rosigen Wangen und dem Engelsmund, aber die gesamte Erscheinung
rief ohnehin merkwürdige Gefühle in der Gegend hervor, die die Poeten euphemistisch
circa pectora
nennen.
Das höchstens fünfzehn Jahre alte Mädchen trug ein weißes Untergewand mit Hohlsaumstickerei und darüber eine Weste aus scharlachrotem
Atlas. Sein Männerwams mit dem Zobelkragen trug es nach der neuesten Mode – die Arme waren durch den Schlitz an der Seite
geschoben, so dass die Ärmel lose auf dem Rücken hingen und im Galopp malerisch hinterherwehten.
»Erlaubt, werte Herren«, stellte Luitpold von Köckeritz sie leicht spöttisch den anderen vor, »dieser kleine Spaßmacher, der
hier mit seinem Pferd Kobolz schießt, ist meine Nichte, das wohlgeborene Fräulein Douce von Pack.«
Die Ritter schwiegen, auch die älteren und würdigeren, und rissen die Augen auf. Douce von Pack wendete ihr Pferd, eine prächtige,
hellbraune Stute.
»Du hast es versprochen, Onkelchen«, sagte sie laut. Sie hatte keine sehr angenehme Stimme, die – aber nicht bei allen – das
durch ihre engelsgleiche Schönheit und den ersten Eindruck hervorgerufene Staunen wieder etwas minderte.
|295| »Ich habe es versprochen, und ich halte mein Wort.« Köckeritz runzelte die Stirn. »Hab doch ein bisschen Geduld. Das schickt
sich nicht ...«
»Du hast es versprochen, du hast es versprochen! Ich will es jetzt, gleich! Ich langweile mich!«
»Hölle und Teufel! Also gut. Du kriegst einen. Such dir einen aus. Herr Otto, ich nehme einen davon. Ohne zu feilschen. Den
Preis, den Ihr nennt, zahle ich. Wir rechnen nachher ab. Ich habe ihr einen als Geschenk versprochen, und Ihr seht ja selbst,
wie launenhaft sie ist ... Soll’s also kosten, was es mag ...«
De Bergow riss seine Augen von den Schenkeln des Mädchens und räusperte sich, als er endlich begriff, worum es ging.
»Es kostet nichts«, er verneigte sich, »nehmt es als Geschenk von mir an. Als Huldigung an Eure Schönheit und Anmut. Bitte,
wählt einen aus, edles Fräulein.«
Douce von Pack verbeugte sich im Sattel und lächelte. Mit wahrhaft überwältigender Anmut. Dann defilierte sie an den sprachlosen
Rittern vorüber, wobei sie die Stute zu kleinen, zierlichen Schritten zwang. Sie ritt an die Gefangenen heran.
»Den da!«
Sie hat ein Gelübde getan, dachte Reynevan, als er sah, dass die Knechte den Gesellen aus Jarom ěř aus der Reihe zerrten.
Sie hat gelobt, ein gutes Werk zu tun, versprochen, jemanden zu befreien. Ein wahres Wunder ... Vielleicht hätte ich durch ihn Scharley eine Nachricht zukommen lassen können. Schade ...
»Lauf weg!«, zischte das Mädchen, beugte sich aus dem Sattel und wies auf das Tor. »Lauf!«
»Nein!«, schrie Reynevan, der plötzlich begriffen hatte. »Lauf nicht ...«
Einer der Martahúz versetzte ihm einen Hieb. Und der Tischlergeselle rannte los, über den Burghof. Er lief schnell. Aber er
kam nicht weit. Douce von Pack hatte einem der Pferdeknechte im Galopp den Speer entrissen, erreichte den Gesellen |296| kurz vor dem Tor und schleuderte die Waffe in vollem Ritt mit der ganzen Kraft ihrer Schulter. Der Speer traf ihn in den Rücken,
genau zwischen die Schulterblätter, die Speerspitze trat mit einem Springquell von Blut vorn aus der Brust hervor. Der Geselle
stürzte zu Boden, zuckte mit den Beinen, krümmte sich und lag leblos da. Das Mädchen wendete gleichgültig das Pferd und paradierte
über den Burghof. Die Hufe klapperten im Takt über die Steinplatten.
»Ist sie immer so?«, fragte Ulrich von Biberstein neugierig, aber kühl.
»Ist das angeboren oder erworben?«, fragte Lothar von Gersdorf, keineswegs mehr mit Wärme in der Stimme.
»Die sollte man ins Holz schicken, auf Wildschweinjagd«, schnaubte Janko Schaff. »Wenn sie da was erwischt, gibt’s immerhin
Fleisch ...«
»Von
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