Gottesstreiter
das muss ich schon sagen. In welcher von diesen Eigenschaften bist du auf meine Burg gekommen?
Du antwortest nicht? Auch gut. Ich weiß es auch so.«
Reynevan schwieg. Sein Hals war völlig ausgetrocknet, er konnte nicht schlucken. Das Loch im Kerker war fürchterlich kalt
und stank erbärmlich. Der Gestank schien aus einer mit einem Eisengitter bedeckten Öffnung im Boden zu kommen. Obwohl das
Hinabsteigen über die Wendeltreppe in den unteren Teil des Turmes viel Zeit gekostet hatte, lag dieses Loch nicht am Grund
des Turmes. Unter ihm befand sich noch etwas. Das Kerkerloch unter der »Jungfrau« schien bis zu den Eingeweiden der Erde hinabzureichen.
Die Knechte steckten die Fackeln in die Eisenhalterungen. Das Gitter am Boden wurde mit lautem Knirschen geöffnet. In die
dunkle, nach Fäulnis stinkende Öffnung wurde eine Leiter hinabgelassen.
»Steig hinunter«, de Bergows Befehl bestätigte Reynevans Vermutung, »rasch!«
|302| Sie ließen ihn nicht bis ganz nach unten gelangen. Sie rissen vorher heftig an der Leiter, Reynevan fiel hinunter und knallte
aus ziemlicher Höhe auf den steinharten Boden. Der Sturz raubte ihm für einige Zeit den Atem.
»Ich hatte hier auf Troský mal einen klugen, belesenen Magier«, tönte de Bergow von oben herab, wobei er mit seiner Gestalt
die Öffnung, durch die das spärliche Licht in das Loch drang, verdeckte, »der sagte, solch ein Kerkerloch wie das hier nennt
man
oubliette
. Ich habe nie wieder gehört, dass jemand anderer dieses Wort verwendet hätte. Das stammt wohl aus dem Gallischen und bedeutet,
hehe, ›Vergiss mich!‹. Ich werde dir zeigen, was der Name bedeutet. Also, das Gitter hier wird gleich geschlossen werden,
und dann wird man dich vergessen. Vollkommen, auch was Brot und Wasser anbelangt. Deswegen bevorzuge ich statt des gallischen
Ausdrucks den allgemein gebräuchlichen: Hungerloch. Ich werde dich verhungern lassen, Herr von Bielau. Es sei denn, du wirst
klüger und gestehst, wer dich gedungen hat und auf wessen Befehl du mich ermorden wolltest. Ich warne dich, Lügen und Schwindeleien
helfen dir nicht. Ich weiß, wer hinter dem Anschlag steckt, du lieferst mir lediglich Einzelheiten. Und Beweise.«
Reynevan stöhnte und drehte sich ein wenig auf die Seite. Er hatte sich die Beine gehörig verstaucht, aber anscheinend nichts
gebrochen. Von oben her drang ein Knirschen und Kreischen, als das Gitter geschlossen wurde.
»Ach, das hätte ich doch beinahe vergessen«, fügte de Bergow von oben her noch hinzu. »Hexerei wird dich nicht retten, selbst
wenn du wirklich ein Magier wärst. Jener kluge Magier, den ich erwähnte, hat das Hungerloch mit einem speziellen Zauber versehen.
Er hat behauptet, sogar Merlin könne den nicht brechen. Er hat nicht gelogen, wie sein Beispiel beweist. Er sitzt noch immer
dort unten und wird dir jetzt Gesellschaft leisten. Wenn es Rupilius dem Schlesier nicht gelungen ist, von dort zu entkommen,
dann hast auch du keine Chance. Leb wohl. Es wird nicht lange dauern, und du wirst da unten deine |303| eigene Pisse saufen. Solange du noch lebst, wünsche ich dir Gesundheit und guten Appetit.«
Das Geräusch von Schritten und das Klirren von Metall wurde immer schwächer. Das Echo verhallte. Und Stille setzte ein, tief
und dumpf.
Es dauerte etwas, bis sich Reynevans Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Bis er in einer Ecke des Lochs den weißen, die
Zähne bleckenden Schädel eines an die Mauer gefesselten Skeletts erkennen konnte.
Das Gerücht hatte sich bewahrheitet. Der Magier Rupilius der Schlesier befand sich tatsächlich auf Burg Troský. Er weilte
dort und sollte für immer dort weilen. Bis in alle Ewigkeit.
Das Hauptproblem bei Zauberamuletten, hatte Telesma, der Prager Magier aus der Apotheke »Zum Erzengel«, Reynevan erklärt,
sei ihre Größe. Die Frage der Größe sei noch wichtiger als die der Qualität des Materials. »Es ist allgemein bekannt, je wertvoller
das Material ist, aus dem der Talisman gefertigt wird, desto wirkungsvoller ist seine Magie, aber was soll’s, darauf, dass
Gutes auch teuer ist, sind schon die alten Phönizier gekommen. Wenn du billig kaufst, kaufst du Scheiß, dieses Axiom ist vermutlich
auch in den Handelskontoren von Tyros und Sidon entstanden.«
Die Behauptung, je größer die Masse des Amuletts sei, desto größer sei seine Macht, war eine Binsenweisheit, dazu noch eine
reichlich heikle. Aber allein der Gebrauch von
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