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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Zaubergegenständen erforderte, dass sie handlich waren. Ein Talisman machte
     nur dann Sinn, wenn man ihn bei sich tragen konnte, in der Tasche, um den Hals oder an der Hand.
    »Was nützt es«, pflegte Telesma zu sagen, »dass man mit einem getrockneten und gepressten Storch als Hilfsmittel ohne weiteres
     fremde Gedanken lesen kann? Dass das mumifizierte Bein eines Toten äußerst wirksam vor Zauber schützt? Wo soll man denn so
     etwas bei sich tragen? An einer Schnur um den Hals? Das sieht doch blöd aus.«
    |304| »Daher bleibt nur eins«, hatte der Magier gesagt, seine theoretischen Ausführungen mit einer praktischen Schlussfolgerung
     beendend, »man muss sich mit der Tatsache abfinden, dass Amulette, Talismane und Ähnliches nur für die geringere Magie geeignet
     sind, für die Zauberei auf niederer Ebene. Wenn man sich damit abgefunden hat, muss man das Seine tun – nämlich sie in Miniaturform
     bringen. Wenn das Amulett schon keine allzu große Wirkung hervorrufen kann, dann soll es wenigstens bequem zu tragen sein.«
    Also hatte Telesma viel und mit unterschiedlichen Ergebnissen experimentiert. Als sich Reynevan aufmachte, hatte er ihm eine
     kupferne Schatulle, nur wenig größer als zwei Fäuste, geschenkt. Die mit Atlas ausgeschlagenen Fächer enthielten nicht mehr
     und nicht weniger als zwölf Miniaturen. Kleine Amulette von unterschiedlichster Form und Bedeutung.
    Klar, dass Reynevan die kleine Schatulle sorgsam hütete und sich damit keinem Risiko aussetzte. Seine einsame Fahrt nach Burg
     Troský war ein gewaltiges Risiko, daher war die Schatulle bei Scharley verblieben. Mit einer Ausnahme. Er hatte zwei Amulette
     mitgenommen, einen Ring, der Wunden heilte, und ein Periapt zum Erkennen von Magie. Außer dass sie sehr nützlich waren, hatten
     beide Talismane auch den Vorteil, von schlichtem Äußeren zu sein. Der Wunden heilende Ring war aus Zinn gegossen, in seinem
     Inneren befand sich ein ziemlich großer Diamant. Das Periapt zum Aufspüren von Magie bestand aus Golddraht, der unter einem
     Geflecht aus Pferdehaar verborgen war. Sein bescheidenes Äußeres hatte das Heilamulett nicht vor Diebstahl geschützt, für
     den Martahúz Hurkoveč hatte alles einen Wert, sogar Zinn. Reynevan hatte nicht nur seinen Pelzmantel, seine Mütze, die Geldbörse,
     den Gürtel und das venezianische Stilett eingebüßt, sondern auch den Ring, und er konnte dabei noch von Glück reden, dass
     er den Finger nicht gleich mit eingebüßt hatte. Hingegen war das am Oberarm festgebundene Periapt zur Entdeckung von Magie
     den Räubern entgangen. Jetzt war es der einzige Gegenstand, auf den er zählen konnte.
    |305| Auf irgendetwas musste ein Gefangener zählen können, und das bald. Reynevan war sich bewusst, dass er seine letzte Mahlzeit
     vor zwei Tagen eingenommen hatte. Seit achtundvierzig Stunden hatte er nichts mehr gegessen. Und nur sehr wenig getrunken.
     
    Visum repertum, visum repertum, visum repertum.
Cabustira, bustira, tira ra.
    Die Wiederholung des Zauberspruches erbrachte auch nicht mehr. Die Wände der
oubliette,
oder des Hungerlochs, wie de Bergow es genannt hatte, leuchteten wie Phosphor, glühten wie faulendes Holz im Wald. Das bestätigte
     nur die unliebsame Wahrheit, dass das Kerkerloch mit einem starken Zauberschutz belegt war. Das an der Mauer angekettete Skelett
     hingegen, in dem Reynevan Rupilius den Schlesier, einen hervorragenden Theoretiker wie Praktiker der Zauberei, erblickte,
     leuchtete nicht. Gut oder nicht, Rupilius mit seinem fröhlich grinsenden Totenschädel strahlte im Gegensatz zu den Wänden
     keinerlei Magie aus, woraus sich folgern ließ, dass die Taten der Magier dauerhafter waren als sie selbst.
    Reynevan sank ein wenig der Mut, hatte er doch im Stillen die Hoffnung gehegt, das Periapt möge ihm helfen, etwas zu entdecken,
     das ihm in seiner Lage förderlich sein könnte. Als Magier hätte Rupilius wohl irgendwelche magischen Gegenstände in den Kerker
     schmuggeln können, wenn auch vielleicht im After, wie seinerzeit im Narrenturm der Magier Circulos. Rupilius der Schlesier
     hatte aber nichts bei sich. Und er war hier, flüsterte Reynevan sein Verstand zu, er saß hier in seiner Ecke inmitten anderer
     vermoderter, zerbröselnder Knochen und bleckte die Zähne. Wenn er eine andere Möglichkeit gehabt hätte, flüsterte der Verstand,
     wäre er nicht so geendet.
    Reynevan befahl dem Verstand streng, zu schweigen, und führte das Amulett zuerst an den Mund, dann

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