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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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so
     gebeugt, als drückte ihn die Last dieser Schultern nieder. Das Gewand, das er trug, war das einfache, graue und nicht sehr
     saubere Kleid eines Knechtes oder eines Dieners. Reynevan hätte aber um jede Summe gewettet, dass dies weder ein Knecht noch
     ein Diener war.
    »Gibst du mir dein Ehrenwort, dass du mich nicht wieder zu Boden wirfst?«, fragte der Ankömmling und rieb sich die Nase.
    »Das gebe ich dir nicht!«
    »Hä?«
    »Ich muss hier raus!«
    Der Mann schwieg eine Weile.
    »Ich verstehe«, sagte er dann rauh. »Du sitzt in der
oubliette
, ich weiß, wozu die
oubliette
dient. Ich werde dir etwas zu essen und zu trinken bringen. Aber zieh daraus keine voreiligen Schlüsse.«
     
    Reynevan schlang Brot, Wurst und Käse so hastig hinunter, dass ihm kaum Zeit zum Atmen blieb. An dem dünnen Bier hätte er
     sich fast verschluckt. Als der erste Hunger gestillt war, aß er langsamer und kaute gründlicher. Der Mann im grauen |309| Gewand blickte ihn neugierig an. Reynevan, endlich satt und nicht mehr durstig, erwiderte diese Neugier.
    »Otto de Bergow, der dich festgesetzt hat«, fragte der Mann, »weiß er, dass du magische Fähigkeiten hast?«
    »Nur so in etwa.«
    »Wie lange sitzt du schon hier?« »Welchen Tag haben wir heute?«
    »Samh   ...«, der Mann geriet ins Stottern. »Das heißt, Allerseelen.
Commemoratio animarum.
«
    Reynevan schlürfte den Rest Bier aus dem Krug und schob einen Brotkanten unter sein Hemd.
    »Du kannst damit aufhören, mich an der Nase herumzuführen«, erklärte er dann. »Während du mir etwas zu essen holen gegangen
     bist, habe ich mir die Gegenstände angesehen, die du mitgebracht hast, die, die dort liegen. Mistel, Birkenrinde, einen Eibenzweig,
     eine Kerze, einen eisernen Ring, einen schwarzen Stein. Gegenstände für die Totenzeremonie. Und heute haben wir, wie mir dein
     Versprecher sagt, das Fest Samhain. Du bist durch die Wand gekommen, um diesen Knochen da die Ehre zu erweisen. Und dies nach
     dem Ritual der Alten Stämme.«
    »Du hast es richtig erkannt.«
    »Das war also dein Verwandter. Oder dein Freund.«
    »Diesmal hast du es nicht richtig erkannt. Aber lass uns zu wichtigeren Dingen übergehen. Ich sage dir, wie du dem Hungertod
     entgehen kannst. Du wärst nicht der Erste. Sehr viele wurden in die
oubliette
gebracht, aber du siehst ja selbst, es gibt nur ein Skelett, wenn man die Knochen, die seit Jahrhunderten hier liegen, nicht
     mitzählt. Sperr die Ohren gut auf. Hast du?«
    »Ich habe sie aufgesperrt.«
    »Der Sohn von Otto de Bergow, Johann, ist ein Utraquist und Hauptmann in Tábor. Otto bildet sich ein, dass ihm sein Sohn nach
     dem Leben trachtet und ihm den Besitz wegnehmen will. Obwohl das meiner Ansicht nach völliger Blödsinn ist, ist das bei Otto
     mit der Zeit zu einer Art Verfolgungswahn geworden. |310| Hinter jeder Ecke vermutet er einen gedungenen Mörder, in jeder Speise Gift. In jedem Hussiten wähnt er einen vom Sohn geschickten
     Vatermörder, daher ist er auf die Kelchleute auch nicht gut zu sprechen. Die Sache ist ganz einfach: Du musst nur zugeben,
     dass du ein Mörder bist, den Johann de Bergow gedungen hat und der nach Troský gekommen ist, um Otto zu ermorden.«
    »Und hocherfreut über dieses Bekenntnis, wird mich Otto de Bergow sogleich aufs Rad flechten lassen«, lachte Reynevan. »Nehmen
     wir mal an, er glaubt mir. Dann genügt es, wenn er mich fragt, wie sein Sohn aussieht, und schon kommt die Lüge zum Vorschein.«
    »Du bist ein Magier. Kennst du keine Überzeugungsformeln oder empathischen Formeln?«
    »Nein.«
    »Dann hast du Pech.«
    »Zum Teufel!«, brauste Reynevan auf. »Hör auf, mich an der Nase herumzuführen! Ich will, zum Kuckuck noch mal, keine voreiligen
     Schlüsse ziehen, aber du bist hier schließlich durch die Wand gekommen, verdammt und zugenäht! Mach sie auf, und lass mich
     hinaus!«
    Der Ankömmling schwieg lange, dabei jedoch nicht Reynevan anblickend, sondern das Skelett.
    »Es tut mit leid«, erwiderte er schließlich, »aber diese Möglichkeit kommt nicht in Frage.«
    »Warum?«
    »Ich kann es nicht zulassen   ... Bleib ruhig sitzen, sonst werfe ich ein
Constringo
über dich. Und du hast es am eigenen Leibe erfahren, dass sich deine Magie nicht mit meiner messen kann.«
    In der Stimme des Ankömmlings schwang deutlich Eitelkeit mit – und eben diese Eitelkeit war es, die Reynevan half, das Rätsel
     zu lösen, sie wurde zum Katalysator, mit dessen Hilfe sich der dichte Nebel hob. Es war

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