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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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auch nicht ausgeschlossen, dass der
     Hunger seine Sinne geschärft hatte.
    »Wenn man bedenkt«, sagte er bedächtig, »wenn man bedenkt, |311| dass ich eigens nach Troský gekommen bin, um dich zu treffen. Eben dich.«
    »Was du nicht sagst!«
    »Ich kann mich mit dir nicht messen, weil du ein wahrhaft großer Magier bist. Dazu noch sprachbewandert, denn in der ganzen
     Gegend gebraucht niemand sonst das Wort
oubliette
. Wenn ich durch einen magischen Durchgang fliehen würde, wenn ich auf geheimnisvolle Weise verschwände, schlüge man sofort
     Alarm: Auf Troský verbirgt sich ein Magier. Ein Zauberer, der in der Lage ist, ein magisch gesichertes Hungerloch zu überwinden.
     Denn er selbst hat es abgesichert. Ich bin nach Troský gekommen, weil ich dich treffen wollte, Meister Rupilius. Um deinen
     Rat zu erbitten.«
    »Ich gratuliere dir zu deiner Phantasie«, knurrte der Mann. »Du solltest Romane schreiben   ... Was zum Teufel machst du da?«
    »Ich muss pissen   ...« Reynevan stand breitbeinig vor dem Skelett. »Was ist?«
    »Geh da weg, dich soll doch gleich   ...!«, schrie der Ankömmling. »Weg da, hörst du nicht? Wag es ja nicht, du Miststü   ...« Er brach ab, weil er sich an seinem letzten Wort verschluckt hatte.
    Reynevan drehte sich mit einem triumphierenden Lächeln um.
    »Das habe ich mir gedacht«, sagte er. »Dies ist kein Verwandter und auch kein Freund, aber am Allerseelentag kommt man mit
     einer Kerze und einer Mistel zu ihm. Und man wird wütend, wenn jemand auf diese sterblichen Überreste pissen will. Denn ich
     hätte auf deine Knochen gepisst, stimmt’s? Das sind deine eigenen Knochen, die hier liegen, Meister Rupilius der Schlesier,
     Spezialist für Astralkörper und Astralwesen. Dein Körper ist in diesem Loch gestorben, aber nicht du selbst. Du hast dich
     astral in eine fremde physische Form begeben. In die Form desjenigen, dessen Geist du in deinen eigenen Körper verpflanzt
     hast. Und den der Hunger hier an deiner Stelle getötet hat.«
    |312| »Man glaubt es nicht«, antwortete Rupilius der Schlesier nach einer Weile, »man mag es einfach nicht glauben, was für verdammte
     Titanen des Intellekts heutzutage in Kerkern schmachten!«
     
    Reynevan blieb lange Zeit allein. Lange genug, um zu dem Schluss zu kommen, dies sei eine dunkle Stunde, und es sei daher
     besser, den Brotkanten zu mümmeln, den er für diesen Zweck aufbewahrt hatte. In der Wand verschwindend, hatte ihn Rupilius
     der Schlesier in schrecklicher Einsamkeit, schrecklicher Angst und schrecklicher Hoffnungslosigkeit zurückgelassen. Er kommt
     zurück, hämmerte ein trügerischer Gedanke in seinem Kopf. Er kommt nicht zurück, er lässt mich hier verfaulen, meldete sich
     die Logik in seinem Schädel, warum sollte er zurückkommen, was bringt es ihm, wenn er mir hilft. Jemanden in der
oubliette
vergisst man, streicht ihn schnellstens aus dem Gedächtnis   ...
    Von oben her flackerte ein Licht, er hörte das Klirren von Metall. Sie holen mich hier raus, dachte Reynevan. Es gibt doch
     noch Hoffnung   ... Vielleicht ist de Bergow ungeduldig geworden, erstickte die Angst die Hoffnung. Und hat beschlossen, mir auf andere Art
     ein Geständnis abzupressen. Sie holen mich hier heraus, aber nur, um mich dem Henker zu übergeben   ...
    Von oben hallte es laut, es klirrte und quietschte, kreischend öffnete sich das Gitter, dann klopfte und rasselte etwas. Jemand
     verstellte mit seiner Gestalt die Öffnung, und aus dem Dunkel materialisierten sich die Umrisse einer heruntergelassenen Leiter.
    »Klettere herauf, Reynevan!«, erklang von oben die Stimme Rupilius ’ des Schlesiers. »Rasch, rasch!«
    Ich habe ihm nicht verraten, wie ich heiße, dachte Reynevan, während er die schlüpfrigen Sprossen emporstieg. Ich habe ihm
     meinen Vornamen nicht genannt, geschweige denn ihm gesagt, wie sie mich zu Hause nennen. Entweder ist er ein Telepath, ein
     Hellseher oder   ...
    |313| Oben zeigte sich dann, dass eher das »oder« zutraf. Und Reynevan stöhnte unter der wohlbekannten, bärenartigen Umarmung.
    »Samson!«
    »Ja, Samson«, bestätigte mit leichtem Spott der daneben stehende Rupilius. »Um solche Freunde kann man dich nur beneiden,
     mein Junge! Bessere gibt es wahrhaftig nicht. Und jetzt weiter, macht euch auf den Weg.«
    »Aber wie   ...«
    »Keine Zeit«, unterbrach ihn der Magier. »Brecht auf! Denn es liegt noch ein langer Weg vor euch!«
    Sie kletterten über die Treppe hinauf, von dort aus führte die

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