Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
sauste die Straße hinunter. Reynevan beschleunigte sofort seinen Schritt. Die Katze hätte von Filous Spitzel aufgescheucht
     sein können. Aber es konnten auch gemeine Beutelschneider sein, die auf einen einsamen Passanten aus waren. Es dämmerte bereits,
     die Gassen leerten sich, und bei völliger Dunkelheit waren die Gässchen der Neustadt gefährlich. Besonders jetzt, wo der größte
     Teil der Stadtwache in Prokops Armee diente, sollte man besser nicht einsam durch die Neustadt schlendern.
    Daher beschloss Reynevan, nicht mehr allein zu bleiben. Ein paar Dutzend Schritte vor ihm gingen zwei Prager. Er musste sich
     ganz schön anstrengen, um sie einzuholen, sie gingen rasch, und als sie seine Schritte hallen hörten, gingen sie noch schneller.
     Plötzlich bogen sie in eine Seitengasse ab. Er lief hinter ihnen her.
    »He, Brüder! Habt keine Angst! Ich möchte nur   ...«
    Die Männer wandten sich um. Der eine hatte dicht neben seiner Nase ein eitriges luetisches Geschwür. Und in der Hand ein Messer,
     ein gewöhnliches Metzgermesser. Der zweite, kleiner und gedrungener, war mit einem Dolch mit s-förmiger Griffschale bewaffnet.
     Keiner der beiden gehörte zu Filous Spitzeln.
    Der dritte, der hinter ihm herkam und die Katze verscheucht hatte, ein Grauhaariger, ebenfalls nicht. Er hielt ein Stilett
     in der Hand, dünn und scharf wie eine Nadel.
    Reynevan machte ein paar Schritte rückwärts und drückte sich mit dem Rücken gegen die Hauswand. Er hielt den Halunken seine
     Arzttasche entgegen.
    |46| »Meine Herren   ...«, stotterte er und klapperte dabei mit den Zähnen, »Brüder   ... Nehmt   ... Mehr habe ich nicht   ... Er   ... Erbar   ... Erbarmen   ... Tötet mich nicht   ...«
    Die Mienen der Halunken, die bisher hart und angespannt gewesen waren, lockerten sich ein wenig, lösten sich dann und verzogen
     sich schließlich zu verächtlichen Grimassen. In den Augen, die bis dahin kalt und aufmerksam geblickt hatten, erschien der
     Ausdruck geringschätziger Grausamkeit. Sie kamen näher und richteten ihre Waffen auf die leichte, verachtenswerte Beute.
    Reynevan ging nun zur nächsten Phase über. Nach dem psychologischen Spielchen à la Scharley war es jetzt an der Zeit, andere
     Methoden anzuwenden. Wofür er andere Lehrmeister gehabt hatte.
    Der erste Halunke hatte keinen Angriff erwartet, auch keinen Schlag mit der Arzttasche auf seine von der Lues verunzierte
     Nase. Den zweiten brachte ein Tritt gegen das Schienbein ins Wanken. Der dritte, untersetzte, wunderte sich, als sein Stilett
     in hohem Bogen durch die Luft flog und er selbst in einem Abfallhaufen landete, nachdem er über ein geschickt gestelltes Bein
     gestolpert war. Als er sah, dass sich die anderen auf ihn stürzen wollten, warf Reynevan die Tasche weg und zog aus seinem
     Gürtel blitzschnell ein Stilett hervor. Er tauchte mit dem Messer in der Hand unter einer Schulter durch und wandte einen
     Hebelgriff um Handgelenk und Ellenbogen an, genauso wie es ›Das Fechtbuch‹ aus der Feder von Hans Talhoffer vorschrieb. Er
     stieß den einen Gegner gegen den zweiten, sprang nach hinten und attackierte aus der Flanke heraus mit einer Finte, die der
     ›Flos Duellatorum‹ von Fiore de Liberi im ersten Kapitel, das dem Kampf mit Stichwaffen gewidmet war, für derartige Situationen
     empfahl. Als der Halunke unwillkürlich eine Abwehrbewegung nach oben machte, stach Reynevan ihn kurzerhand in den Schenkel
     – gemäß Kapitel zwei desselben Lehrbuches. Der Halunke brüllte auf und fiel auf die Knie. Reynevan sprang nach hinten, versetzte
     dabei |47| demjenigen, der im Begriff war, sich von seinem Abfallhaufen zu erheben, beiläufig einen Tritt, sprang wieder vor einem Stoß
     rückwärts und tat, als strauchelte er und verlöre das Gleichgewicht. Der grauhaarige Halunke mit dem Stilett hatte ganz eindeutig
     die Klassiker nicht studiert und auch noch nichts von Finten gehört, denn er machte einen heftigen, aber ungeschickten Ausfall,
     der Reynevan nur wie ein Reiherschnabel streifte. Reynevan tauchte ruhig unter seiner Schulter hindurch, drehte ihm den Arm
     um, packte ihn an der Schulter, wie ›Das Fechtbuch ‹ es lehrte, blockte ihn ab und drückte ihn gegen die Hauswand. Um freizukommen,
     holte der Halunke mit der linken Faust zu einem mächtigen Schlag aus – und traf geradewegs die Schneide des Stiletts, das
     Reynevan ihm, den Instruktionen des ›Flos Duellatorum‹ gemäß, hingehalten hatte. Die schmale Klinge

Weitere Kostenlose Bücher