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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Feiernden zum Pferdemarkt. Hier wurden nacheinander
     zwei Wirtschaften aufgesucht, »Zur weißen Stute« und »Bei Mejzlik«.
    Reynevan folgte seinen Kumpanen getreulich. Warum auch nicht, er verspürte selbst Lust auf Feiern und Frohsinn, er freute
     sich ehrlich über den Sieg von Tachau, auch um Scharley |43| machte er sich jetzt weniger Sorgen. Und der Weg kam ihm zupass – schließlich wohnte er in der Neustadt. Und zu den Tuchlauben,
     in die Apotheke »Zum Erzengel«, wo er Samson Honig vermutete, konnte er nicht gehen. Diese Absicht verwarf er endgültig. Er
     befürchtete, den geheimen Treffpunkt zu verraten und das Interesse auf die böhmischen Alchemisten und Magier zu lenken. Und
     sie dadurch womöglich Schlimmerem auszusetzen. In dem lustigen Haufen vor der »Stute« waren hin und wieder die graue Gestalt,
     die graue Kappe und das graue Gesicht des Spitzels aufgetaucht. Filou gab anscheinend nie auf.
    Also feierte er mit, aber in Maßen, er übertrieb es nicht mit dem Trinken, obwohl der magische Dekokt, den er in der Tuchhallengasse
     eingenommen hatte, ihn gegen alle Gifte, darunter auch den Alkohol, feite. Die Stimmung bei »Mejzlik« erreichte schon fast
     den Punkt, den Scharley »Wein, Gesang und Gekotze« zu nennen pflegte. Das Wort »Weib« fehlte nicht zufällig in dieser Zusammenstellung.
    Reynevan trat auf die Gasse und atmete tief durch. Prag wurde langsam still. Der Widerhall der lauten Feiern wich allmählich
     dem Chor der Moldaufrösche und der Grillen in den Klostergärten.
    Er wandte sich dem Pferdetor zu. Aus den Schenken und Kellern, an denen er vorbeikam, drangen säuerliche Gerüche, das Klirren
     von Geschirr, das schrille Gelächter von Mädchen und schläfriger und undeutlicher werdende Gesänge:
    Já řezník, ty řezník, oba řezníci
    Pudem za Prahu pro jalovici
    Jak budu kupovat, bude
š
smlouvat
    Budem se panenky hezky namlouvat!
    Ein leichter Wind erhob sich und trug den Geruch von Blüten, Blättern, Schlamm, Rauch und Gott allein weiß was noch herbei.
    |44| Und von Blut.
    Prag stank immer noch nach Blut. Reynevan roch andauernd diesen Gestank, der ihn verfolgte, ständig hatte er ihn in der Nase.
     Von Neplachs Spitzeln war weder etwas zu sehen noch zu hören. Aber die Unruhe blieb.
    Er bog in die Alte Gürtlergasse ein, dann aus der Gürtlergasse in ein Gässchen, das »In der Höhle« hieß. Während er so dahinging,
     dachte er an Nicoletta, an Katharina von Biberstein. Er dachte ganz intensiv an sie und spürte unmittelbar, welche Folgen
     diese Gedanken hatten. Die Erinnerung stand ihm so deutlich und plastisch vor Augen, dass es kaum noch auszuhalten war.
    Reynevan blieb unwillkürlich stehen und sah sich um. Unwillkürlich. Weil er genau wusste, dass es doch keinen Ort gab, zu
     dem er hätte gehen können. Schon im August 1419, knapp zwanzig Tage nach dem Fenstersturz, waren in Prag alle Freudenhäuser
     verwüstet und die Freudenmädchen aus den Mauern der Stadt hinausgejagt worden. In puncto Sittenstrenge waren die Hussiten
     wirklich rigoros.
    Die lebhaften und detaillierten Erinnerungen an Katharina riefen auch noch andere Eindrücke wach. Die Wohnung an der Ecke
     St.-Stephans-Gasse und Fischteichgässchen, die sich Reynevan mit Samson Honig teilte, gehörte Frau Blažena Pospichalova, einer
     Witwe und einem mit allen Reizen versehenen Frauenzimmer mit lieben blauen Äuglein. Diese Augen hatten mehrfach derart beredt
     auf Reynevan geruht, dass er Frau Blažena im Verdacht hatte, Lust auf etwas zu haben, das Scharley für gewöhnlich als »einzig
     auf Begehren gegründete Vereinigung, die nicht das Ergebnis einer von der Kirche sanktionierten Absicht ist« zu bezeichnen
     pflegte. Die restliche Welt bezeichnete diese Sache mit entschieden kürzeren und entschieden drastischeren Wörtern. Die Hussiten
     aber bestraften jene drastisch benannte Sache, wie es hieß, mit großer Strenge. Zwar taten sie dies für gewöhnlich zur Abschreckung,
     aber man wusste ja nie, woraus und aus wem sie ein abschreckendes |45| Beispiel zu machen gedachten. Obwohl Reynevan die Blicke von Frau Blažena sehr wohl verstanden hatte, hatte er bisher so getan,
     als verstünde er sie nicht. Teils aus Angst, sich Ärger einzuhandeln, teils – und das wog sehr viel schwerer   –, weil er den Wunsch hatte, seiner Nicoletta treu zu bleiben.
    Ein wütendes Miauen riss ihn aus seinen Träumereien. Aus der dunklen Seitengasse zu seiner Rechten sprang eine große rote
     Katze und

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