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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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ganz im Gegenteil: blinde Rache. Eine Rache, die, selbst wenn sie wie durch ein Wunder
     die wahren Schuldigen treffen sollte, deinem Bruder das Leben nicht zurückbringen kann.«
    Reynevan blieb stehen.
    »Wir haben das doch schon längst besprochen«, stellte er fest. »Meine Motive kennst du. Und du hast versprochen, mir zu helfen.
     Ich verstehe nicht   ...«
    »Warum ich wieder darauf zurückkomme? Weil es stets lohnt, darauf zurückzukommen. Man muss es immer wieder versuchen, vielleicht
     wirkt es, vielleicht gehen dir ja die Augen |53| auf, und der Verstand kehrt wieder in deinen Kopf zurück. Aber du hast Recht. Ich habe versprochen, dir zu helfen. Und ich
     werde dir auch helfen. Gehen wir.«
    Am St.-Gallus-Tor am Brückl war keine Wache zu sehen, seltsam, nicht ein einziger Bewaffneter. Dies war äußerst merkwürdig,
     denn Tor und Brücke über den Stadtgraben bildeten die Hauptverbindung zwischen der Neustadt und der Altstadt, und die Spannungen
     zwischen den beiden Stadtteilen waren so groß, dass es gerechtfertigt war, die Tore mit bewaffneten Wachmannschaften zu versehen.
     Heute war von der Wache nicht das Geringste zu sehen, Brücke und Tor waren leer. Forderten zum Betreten heraus. Zur Unehrlichkeit.
     Wirkten wie eine Falle.
    Leer waren auch die Gässchen hinter der St.-Gallus-Kirche, die für gewöhnlich mit Buden und Ständen gefüllt waren, eigenartige
     Stille herrschte auch auf dem Fischmarkt. Der Altstädter Markt lag da wie ausgestorben. Zwei Hunde, eine Katze und an die
     dreißig Tauben tranken in friedlicher Eintracht Wasser aus einer Pfütze am Pranger, ohne sich dabei auch nur einmal nach den
     wenigen Passanten umzusehen, die an den Häuserwänden entlanghuschten.
    Die vom Regen benetzten Kugeln an den Fialen der Kirche der Jungfrau Maria vor dem Teyn glitzerten. Wie ein goldener Dreizack
     blitzte der Rathausturm auf.
    Das Horologium des Rathauses, die Turmuhr, knarrte wie gewöhnlich, schlug und zeigte etwas an – wie üblich wusste man auch
     diesmal nicht genau, was, warum und wie präzise überhaupt. Dem Stand der Sonne nach zu urteilen, war die Terz gerade vorüber.
    Filou wartete im Haus »Zum güldenen Rösslein«, in derselben Stube wie zuvor, diesmal hatte er allerdings keinen Gehenkten
     zu bieten.
    Am Fenster stehend, lauschte der taboritische Spion den Meldungen, die ihm Leute überbrachten, die wie Agenten aussahen, und
     auch solche, die nicht wie Agenten aussahen. Er |54| hatte Reynevan schon gesehen. Bei Samsons Anblick verzog er das Gesicht.
    »Da bist du ja.«
    »Da bin ich.«
    »Du hast ja deine Armbrust gar nicht dabei«, bemerkte Neplach missvergnügt. »Ist vielleicht auch besser so. Womöglich hättest
     du dir noch selbst ins Knie geschossen. Muss dein Einfaltspinsel hier herumstehen?«
    »Muss er nicht. Geh nach unten, Samson. Und warte.«
    »Stell dich dorthin«, befahl Filou ihm, nachdem Samson hinausgegangen war. »Dort ans Fenster. Bleib stehen, sag nichts und
     beobachte.«
    Reynevan blieb stehen, schwieg und beobachtete. Der Marktplatz war nach wie vor menschenleer. Neben der Pfütze am Pranger
     kratzte sich ein Hund, eine Katze leckte hingebungsvoll ihren Schwanz und dessen Umgebung, Tauben trippelten am Rande der
     Pfütze auf und ab. Irgendwo vom Teynhof »Ungelt« und von der St.-Jakobs-Kirche ertönte ein Horn. Kurz darauf war auch eines
     von Osten her zu hören, von der geplünderten Kirche St. Clemens, die früher zum ehemaligen Dominikanerkloster gehört hatte.
    Ein Agent stürzte völlig außer Atem in die Kammer. Filou hörte sich seine Meldung an.
    »Sie kommen«, erklärte er und trat an das Nebenfenster. »Etwa fünfhundert Berittene. Hast du gehört, Reinmar? Mit fünfhundert
     Berittenen wollen sie Prag einnehmen, diese Narren. Mit fünfhundert die Macht übernehmen, diese Megaprotze.«
    »Wer? Willst du mir vielleicht endlich mal sagen, worum es hier eigentlich geht?«
    »Die Ratten verlassen das sinkende Schiff. Tritt ans Fenster. Schau hinaus. Sieh aufmerksam zu. Du weißt ja, nach wem du Ausschau
     halten sollst.«
    Am Pranger rannten die Hunde plötzlich davon, die Katze huschte ihnen hinterher. Die Tauben erhoben sich in einer flatternden |55| Wolke, aufgeschreckt vom herannahenden Hufgetrappel. Ein Trupp Berittener zog von Süden heran, vom Stadtgraben, vom verlassen
     dastehenden St.-Gallus-Tor. Kurz darauf strömten die Reiter – darunter eine Schar Schwerbewaffneter – mit Lärm und Getöse
     auf den Markt.
    »Die

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