Gottesstreiter
die er gemeinsam mit Samson Honig von Frau Blažena Pospichalova gemietet hatte.
Die Witwe des Herrn Pospichal –
requiescat in pace,
und Gott befohlen, wer immer er auch gewesen sein mochte, wie immer er auch gelebt hatte und woran er gestorben war – zählte
etwa dreißig Lenze.
Vorsichtig öffnete er die kleine Gartenpforte und trat in den Hausflur, wo es so finster war, dass man die Hand nicht vor
Augen sehen konnte. Er gab sich alle Mühe zu vermeiden, dass die Tür quietschte und die alten Stufen der Stiege knarrten.
Das tat er immer, wenn er erst nach Einbruch der Dämmerung |50| heimkam. Er wollte Frau Blažena nicht wecken. Er fürchtete sich ein wenig davor, eine Konfrontation mit Frau Blažena zu haben,
vor allem, wenn es im Dunkeln dazu käme.
Trotz all seiner Bemühungen knarrte die Stiege geradezu schändlich. Eine Tür öffnete sich, es roch nach Larendogra, Rouge,
Wein, Wachs, Pflaumenmus, altem Holz und frisch gewaschener Bettwäsche. Reynevan spürte, wie mollige Arme seinen Hals umschlangen
und mollige Brüste ihn gegen das Geländer pressten.
»Heute feiern wir«, flüsterte ihm Frau Blažena Pospichalova ins Ohr. »Heute ist ein Feiertag, mein Junge.«
»Frau Blažena ... Aber wenn ... Schickt sich das ...?«
»Sei still. Komm.«
»Aber ...«
»Still!«
»Ich liebe eine andere!«
Die Witwe zog ihn zum Alkoven hin und stieß ihn aufs Bett. Er fiel in die nach frischer Wäschestärke duftenden Pfühle und
versank darin, hilflos in den weichen Daunen.
»Ich ... liebe ... eine andere ...«
»Von mir aus, dann lieb sie halt!«
|51| Zweites Kapitel
in dem Filou Wort hält, Hynek von Kolštejn Prag den heiligen Frieden bringt und die Geschichte verwundet und verletzt und
so die Ärzte zu Schwerarbeit zwingt.
Filou hielt Wort. Er überraschte Reynevan damit voll und ganz.
Seit jenem Gespräch, seit den Feierlichkeiten nach dem Sieg bei Tachau war ein Monat vergangen. Seit jenem Überfall. Und seit
jenem Zwischenfall mit Frau Blažena Pospichalova, der sich in der Nacht vom vierten auf den fünften August ereignet hatte.
Der Zwischenfall mit Frau Blažena hatte sich, weshalb sollte man es leugnen, noch einige Male wiederholt und hatte eigentlich
mehr gute als schlechte Folgen. Zu den guten gehörte unter anderem das üppige und schmackhafte Frühstück, mit dem Frau Blažena
ihre Untermieter seitdem bedachte. Reynevan und Samson, die bis dahin recht unregelmäßig und sehr bescheiden gefrühstückt
hatten, gingen nach dem vierten August satt und zufrieden und lebensfroh ihren Geschäften nach, lächelten ihren Mitmenschen
heiter zu und schwatzten fröhlich in Erinnerung an den Genuss von Brötchen, Quark, Schnittlauch, Gürkchen und Rührei mit geraspeltem
Sellerie. Rührei mit Sellerie servierte Frau Blažena besonders häufig. »Eier«, erklärte sie, während sie Reynevan mit einem
Blick, samten wie ein Bergedelweiß, bedachte, »verleihen Kraft. Und Sellerie«, fügte sie hinzu, »steigert das Verlangen.«
Einen Monat nach jenen Ereignissen, am sechsten September bereits, am Samstag vor Mariä Geburt, als Reynevan und Samson gerade
Rührei mit Sellerie verzehrten, erschien in der |52| kleinen Kammer, still wie ein Schatten, jener graue Wicht in grauen Hosen, den Reynevan bereits kannte.
»Der gnädige Herr wartet«, sagte er, kurz und leise. »Im ›Güldenen Rösslein‹. Unverzüglich, Herr.«
Die Prager Straßen waren ungewöhnlich leer, ja geradezu ausgestorben. Man spürte die Anspannung, der Puls der Stadt klopfte
gereizt, unruhig und unregelmäßig. Die Dächer glänzten nach dem Regen, der noch vor dem Morgengrauen niedergegangen war.
Sie gingen schweigend nebeneinander. Samson Honig ergriff als Erster das Wort.
»Vor fast genau zwei Jahren«, sagte er, »waren wir in Münsterberg. Am achten September 1425 bist du nach Münsterberg gekommen.
In der edlen Absicht, deine Liebste zu befreien. Weißt du noch?«
Statt zu antworten oder einen Kommentar abzugeben, beschleunigte Reynevan seinen Gang.
»In diesen zwei Jahren hast du eine veritable Metamorphose durchgemacht.« Samson gab nicht auf. »Du hast deine Religion und
deine Weltanschauung gewechselt, das ist keine Kleinigkeit. Um beide zu verteidigen, bist du mit der Waffe in der Hand in
den Kampf gezogen, manchmal hast du dich von Politikern, Spionen und Schurken benutzen lassen. Und dein Motiv ist nun nicht
mehr die edle Befreiungstat, sondern,
Weitere Kostenlose Bücher