Gottesstreiter
obwohl es niemanden gab, der Gelfrads Tat lobte oder sie zu rechtfertigen suchte, wurde diese in den Ritterburgen und
auf den Stammsitzen doch noch lange und ernsthaft diskutiert. Und man war eifrig bemüht, die Quintessenz dieser Diskussionen
nach Münsterberg zu übermitteln. Obwohl der wütende Herzog eine grausame Strafe und die schrecklichsten Folterqualen für den
Attentäter forderte, musste er doch unter dem Einfluss der öffentlichen Meinung seinen Ton etwas mäßigen. Für Gelfrad traten
nicht nur seine nächsten Verwandten, die Haugwitz ’, Baruths und Rachenaus, ein, sondern auch |475| alle anderen angesehenen Rittergeschlechter Schlesiens. Gelfrad Sterz, wurde erklärt, sei ein Ritter, und zwar ein Ritter
aus altem Geschlecht, der aus blinder Wut gehandelt habe, hervorgerufen durch die Befleckung seiner Ehre, und wer diese befleckt
habe, wisse man ja. Herzog Johann tobte, aber seine Ratgeber redeten ihm die sadistischen Strafen gründlich aus. Tage, an
denen man jeden Moment einen hussitischen Überfall gewärtigen könne, seien kein guter Zeitpunkt dafür, die Ritterschaft gegen
sich aufzubringen. Dem wütenden Herzog gab allein der noch aufgebrachtere Bischof von Breslau, Konrad, Recht. Der Bischof
widersprach der Theorie von der Verteidigung der Ehre, er machte aus der Liebesgeschichte eine politische Affäre, verkündete,
Gelfrad von Sterz habe so gehandelt, weil er von den Hussiten aufgehetzt worden sei, und verlangte das Todesurteil wegen Staatsverrats,
Zauberei und Häresie. Sterz habe, brüllte der Bischof, aus ebenso niedrigen Beweggründen wie der Räuber Chrzan gehandelt,
der Mörder von Herzog Premislaw von Auschwitz, und wie Chrzan müsse er im Feuer verbrannt und mit Zangen gezwickt werden.
Die schlesische Ritterschaft wollte davon jedoch nichts hören, sie blieb hart und gewann die Oberhand. So sehr, dass nicht
viel gefehlt hätte, und Gelfrad wäre mit heiler Haut davongekommen: Er sollte lediglich mit dem Bann belegt werden, einer
härteren Strafe verweigerte sich die Ritterschaft. Der wilden Wut Herzog Johanns und des Bischofs zum Trotz.
Vor Gericht zeigte der Ritter denn auch keine Reue, er erklärte sogar, auch die Verbannung werde ihn nicht daran hindern,
dem Herzog weiterhin nach dem Leben zu trachten, und er werde nicht ruhen, bis dessen frevlerisches Blut vergossen sei. Er
weigerte sich auch, diese Worte zu widerrufen. Nach diesem
dictum
gingen selbst den schlesischen Magnaten die Argumente aus. Sie wuschen ihre Hände in Unschuld, und Johann von Münsterberg
war’s zufrieden und verurteilte den Ritter zum Tode. Der Kopf sollte ihm mit dem Schwert abgeschlagen werden.
|476| Das Urteil wurde rasch vollstreckt, am fünfzehnten Januar, dem Donnerstag vor dem zweiten Sonntag nach Epiphanias. Gelfrad
Sterz ging ruhig und gefasst in den Tod, aber ohne Schuhe. Er äußerte weiter nichts an der Richtstätte, er blickte nur Herzog
Johann an und sagte einen einzigen lateinischen Satz.
»Was«, fragte Reynevan mit dumpfer Stimme, »was hat er gesagt?«
»Hodie mihi, cras tibi.«
Reynevan gelang es nicht, seine Niedergeschlagenheit zu verbergen, sie war allzu deutlich und stand ihm ins Gesicht geschrieben.
Er hatte das Bedürfnis, sich jemandem anzuvertrauen, die Last der Schuld von sich zu werfen, und so erzählte er seinen Freunden
alles. Von Adele, von Herzog Johann, von Gelfrad von Sterz. Von der Rache. Keiner gab einen Kommentar dazu ab. Außer Drosselbart.
»Es heißt, die Rache sei eine Lust«, erklärte der Dürre. »Aber meist ist sie nur die der Gedankenlosigkeit entspringende Lust
eines Idioten, der lange von ihr geträumt hat. Nur ein Idiot legt den Kopf auf den Block, obwohl er es vermeiden könnte.
Hodie mihi, cras tibi ...
Heute mir, morgen dir. Deine Augen haben geblitzt bei diesen Worten, Reinmar von Bielau, das ist mir nicht entgangen. Und
ich bitte dich nur um eins: Sei kein Idiot! Kannst du das versprechen? Uns allen?«
Reynevan nickte.
Genauso überraschend und unvermittelt wie zuvor der Frost kam jetzt die Erwärmung. Der von Sehnsucht ergriffene Reynevan sattelte
sein Pferd und galoppierte nach Weißkirchen. Von Galopp kann man allerdings kaum sprechen, es handelte sich eher um ein mühsames
Durchkämpfen durch tauende Schneewehen, und so nahm denn der Ritt auch mehrere Stunden in Anspruch. Und am Ende musste Reynevan
von der Schwester Pförtnerin erfahren, dass Jutta zur Hochzeit ihrer Schwester
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