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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Drückeberger«, ermahnte er |470| ihn dann gelassen. »Wir kämpfen. Du machst Karriere in der Medizin und in der Spionage. Ich steige in Tábor in der militärischen
     Hierarchie auf und mache im Geheimen Beute. Ich hab schon eine ganze Menge angesammelt. Wir sind schon etliche Male im Dienste
     des Kelches dem Tod von der Schippe gesprungen. Und das geht immer weiter, wir fordern das Schicksal heraus, lassen uns blind
     von einer Gefahr zur anderen drängen, eine schlimmer als die andere. Höchste Zeit, dass wir ernsthaft mit Prokop und Filou
     reden. Sollen doch Jüngere im Feld und in vorderster Front ihren Hals riskieren, wir haben uns unsere Ruhe wohl verdient,
     wir haben genug getan, um für den Rest des Krieges faul
sub tegmine fagi
zu liegen. Eventuell könnten wir für unsere Verdienste ein ruhiges Plätzchen beim Stab erhalten. Ein Plätzchen beim Stab,
     Reinmar, hat, außer dass es bequem und einträglich ist, auch noch einen anderen unschätzbaren Vorteil. Wenn alles anfängt,
     zu schwanken, zu wackeln und auseinander zu fallen, dann ist es ganz leicht, von einem solchen Plätzchen aus zu fliehen. Und
     man kann dabei viel mitgehen lassen   ...«
    »Was bitte soll da schwanken und auseinander fallen?« Reynevans Gesicht verdüsterte sich. »Vor uns liegt der Sieg! Der Kelch
     triumphiert, das wahre
regnum Dei
wird erstehen! Dafür kämpfen wir!«
    »Halleluja!«, höhnte Scharley. »Es ist schwierig, vernünftig mit dir zu reden, mein Junge. Ich verzichte also auf Argumente
     und schließe mit einem kurzen, sachlichen Vorschlag. Hörst du mir zu?«
    »Ich höre zu.«
    »Lass uns abhauen!«, sagte Scharley ganz ruhig. »Nach Konstantinopel.«
    »Wohin?«
    »Nach Konstantinopel!«, wiederholte der Demerit, vollkommen ernst. »Das ist eine große Stadt am Bosporus. Hauptstadt und Perle
     des Byzantinischen Reiches.«
    »Ich weiß, was Konstantinopel ist und wo es liegt«, entgegnete |471| ihm Reynevan ungeduldig. »Ich frage dich nur, warum wir dorthin fahren sollen?«
    »Um dort zu leben.«
    »Und warum sollten wir dort leben?«
    »Reinmar, Reinmar«, Scharley sah ihn nachsichtig an, »Konstantinopel! Begreifst du nicht? Die große Welt, eine große Kultur!
     Ein großartiges Leben, ein großartiger Ort zu leben. Du bist Arzt. Wir würden dir ein
iatreion
in der Nähe des Hippodroms kaufen, du würdest bald ein berühmter Spezialist für Frauenleiden werden. Samson würden wir bei
     der Leibgarde des Basileus unterbringen. Ich hingegen, im Hinblick auf meine empfindliche, keinerlei Anstrengung verkraftende
     Natur, würde mich einfach mit Nichtstun beschäftigen   ... nur ein wenig Meditation, Glücksspiel und gegebenenfalls kleinere Betrügereien. Nachmittags würden wir in die Hagia Sophia
     gehen und um die Vermehrung unserer Einkünfte bitten, über die Mesa spazierend, könnten wir uns am Anblick der Segelschiffe
     auf dem Marmarameer erfreuen. In einer Taverne am Goldenen Horn würden wir Pilaw mit Lammfleisch und gebackenen Tintenfisch
     essen, den wir kräftig mit gewürztem Wein begössen. Leben, nicht sterben! Nur in Konstantinopel, Jungs, nur in Byzanz! Ich
     sage euch, kehren wir Europa den Rücken, dieser Dunkelheit und Unzivilisiertheit, schütteln wir diesen ekligen Staub von unseren
     Sandalen. Lasst uns dorthin gehen, wo es warm, nährend und wohlig ist, wo es Kultur und Zivilisation gibt. Nach Byzanz! Nach
     Konstantinopel, der Stadt aller Städte!«
    »In die Fremde gehen?« Reynevan begriff zwar, dass der Demerit scherzte, aber er nahm die Herausforderung an. »Dem Land der
     Väter und Vorväter den Rücken kehren? Scharley! Wo bleibt dein Patriotismus?«
    »Da!« Scharley gab mit einer obszönen Geste zu verstehen, wo dieser saß. »Ich bin ein Weltbürger.
Patria mea totus hic mundus est.
«
    »Mit anderen Worten,
ubi bene, ibi patria.
« Reynevan ließ |472| nicht locker. »Diese Philosophie taugt für Vagabunden und Zigeuner. Du hast ein Vaterland, denn du hattest einen Vater. Hast
     du von deinem Elternhaus nichts mitbekommen? Keinerlei Lehren?«
    »Aber durchaus«, antwortete Scharley mit gespielter Entrüstung, »Lehren für das Leben und für anderes. Viele Weisheiten mit
     vielen Maximen, die zu vergessen es mir heute möglich macht, angenehm zu leben.«
    »Bis heute«, er wischte sich theatralisch die nicht vorhandenen Tränen aus den Augen, »klingt die würdige Stimme meines Vaters
     in meinen Ohren. Nie vergesse ich seine würdigen Lehren, die ich bewahrt habe und

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