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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Heimsuchung gewöhnen müssen«, ließ sich plötzlich der Jude vernehmen. »Ei,
     ei, ich sage euch, das fällt nur am Anfang schwer. Mit der Zeit gewöhnt man sich daran.«
    Eine Zeit lang herrschte Stille. Diesmal beendete sie der Ritter.
    »Um noch einmal auf Herzog Ludwig zurückzukommen«, sagte er, »es ist wahr, das war nicht ritterlich, Brieg auf Gedeih und
     Verderben den Hussiten auszuliefern! So darf sich ein Ritter und ein Herzog nicht verhalten. Aber   ...«
    »Aber er war nicht der Einzige, wollt Ihr sagen?«, unterbrach ihn der Müller, eine grimmige Grimasse ziehend. »Da habt Ihr
     Recht! Auch andere haben dem Feind den Rücken zugekehrt und ihre Ehre befleckt. Wo, ach wo nur, ist Herzog Heinrich der Fromme
     geblieben, der eher fallen wollte, als das Feld zu räumen!«
    »Ich wollte sagen, dass die Hussiten durch Verrat an Kraft gewonnen haben. Durch Verrat und Propaganda. Dadurch, dass sie
     falsche Gerüchte ausgestreut, Panik gesät   ...«
    »Wo kommt der Verrat denn her?«, fragte der Minderbruder unvermittelt. »Warum keimt, was er gesät hat, so schnell und blüht
     so kräftig, warum kann er so reiche Ernte halten? Die Mächtigen und die Ritter übergeben ihre Festungen und Burgen kampflos
     und gehen zum Feind über. Die Bauern schließen sich den Hussiten an und dienen ihnen als Kollaborateure, sie führen sie zu
     den Priestern hin und liefern diese dem Tode aus, damit nicht genug, sie überfallen und plündern auch noch selbst Klöster
     und Kirchen. Auch unter den Geistlichen mangelt es nicht an Apostaten. Und es gibt keinen Herzog, der wie Heinrich der Fromme
     bereit wäre,
pro defensione christianae
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fidei
zu kämpfen und zu sterben. Warum das so ist, darüber müsste man nachdenken. Woher kommt das?«
    »Vielleicht daher«, meinte einer der Bauern, ein kräftiger Mann mit wallendem Haar, »vielleicht daher, dass es weder Sarazenen
     noch Türken sind, gegen die man kämpfen muss, auch keine Tartaren, die zu Zeiten unserer Großväter in Schlesien eingefallen
     sind. Die sind angeblich schwarz gewesen, sie hatten rote Augen, spien Feuer aus ihren Mäulern, trugen teuflische Zeichen,
     verübten Zauber und erstickten die unsrigen mit Höllendunst. Welche Macht sie herbeiführte, konnte man sofort sehen. Aber
     die hier? Über dem böhmischen Heer weht die Fahne mit der Monstranz, auf ihre Schilde haben sie Hostien und gottesfürchtige
     Worte gemalt. Während ihres Marsches singen sie Choräle, vor dem Kampf beten sie, auf Knien, und empfangen die Kommunion.
     Gottesstreiter nennen sie sich. Vielleicht also   ... vielleicht   ...«
    »Vielleicht ist Gott auf ihrer Seite?«, beendete der Mönch mit schiefem Lächeln den Satz.
    Noch vor einem Jahr, dachte Dzier żka, während um sie herum Totenstille herrschte, noch vor einem Jahr hätte niemand so etwas
     auch nur zu denken gewagt, geschweige denn, es ausgesprochen. Die Welt verändert sich, sie ändert sich vollständig. Warum
     aber muss sich die Welt immer inmitten von Brand und Gemetzel ändern? Warum muss sie, wie Poppaea in der Milch, im Blut baden,
     damit sie sich erneuern kann?
     
    »Ich beginne«, erklärte der auf den Altarstufen sitzende Scharley, »die Lehren von Hus, Wyclif, Payne und all den anderen
     hussitischen Ideologen aktiv zu unterstützen. Die Kirchen müssen tatsächlich verändert werden   ... Na, vielleicht nicht gleich zu Ställen, wie die Brieger Kollegiatkirche, sondern zu Unterkünften? Seht doch mal, wie nett
     es hier ist. Es regnet einem nicht auf den Kopf, es zieht nicht, Flöhe gibt es auch kaum   ... Ja, Reinmar. Was Kirchen anbelangt, trete ich zu deiner Religion über, ich beginne mein Noviziat.«
    |571| Reynevan schüttelte nur den Kopf und warf Holz in das Feuer, das er mit Berengar Tauler im Mittelschiff entzündet hatte. Samson
     seufzte. Er saß nicht weit von ihnen entfernt, unter einem Leuchter, mit einer Schrift, die er aus einem Stoß unter der Kanzel
     hervorgeholt hatte. Als die Kirche geplündert wurde, hatte niemand sich an den Schriften vergriffen. Offenbar schienen sie
     niemandem von Nutzen zu sein.
    »In so einer Kirche, das ist doch der reinste Luxus.« Drosselbart brach von der Empore im Altarraum das nächste Brett ab.
     »An Holz fürs Feuer fehlt es nicht. Da kann man bis zum Sommer heizen.«
    »Und an Essen mangelt es auch nicht«, fügte Bisclavret hinzu, mit den Zähnen ein Stück von einer strohtrockenen Wurst abreißend,
     die er in der Sakristei gefunden

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