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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Weisheit mit ihr! Weg damit! Weg damit! Weg damit!«
    Bei jedem dieser Rufe flog eine Schrift ins Feuer, ein Traktat, ein Codex, eine Chronik oder eine Heldengeschichte   ... Samson stand mit herunterhängenden Armen da, er lächelte. Reynevan gefiel dieses Lächeln ganz und gar nicht. Krečiř hingegen
     wischte sich den Staub von den Händen, riss einem der Schleuderbuben die mit Nägeln bespickte Keule aus der Hand, sah sich
     um und ging ins Seitenschiff. Er hatte ein Bild bemerkt. ›Die Anbetung des Jesuskindes‹.
    »Eine neues Zeitalter!«, schrie er. »Der Mensch wirft die silbernen und goldenen Götzen den Maulwürfen und Fledermäusen |574| vor! Gott spricht: ›Wendet euch ab von euren falschen Götzen und von jeglichem Unflat!‹«
    Er holte aus, die Keule zersplitterte krachend das bemalte Holz. Einer der Rotzbuben lachte dümmlich.
    »Du sollst dir kein Bildnis machen!«, schrie der Prediger, während er auf die nächsten Bilder eindrosch. »Weder von dem, was
     hoch im Himmel, noch von dem, was unten auf der Erde ist! Auch nicht von dem, was im Wasser und unter der Erde ist!«
    ›Die Vertreibung aus dem Paradies‹ zersplitterte, das Triptychon ›Mariä Verkündigung‹ fiel von der Wand, ›Die Huldigung der
     Heiligen Drei Könige‹ zerfiel in zwei Hälften. Zu Spaltholz wurde die ›Heilige Hedwig‹, die so licht und geheimnisvoll aussah,
     als wäre sie unter dem Pinsel von Robert Campin hervorgegangen. Krečiř schlug unaufhörlich drein, so dass das Echo in der
     Kirche erwachte. Rasend vor Wut, schlug er weitere Bilder von der Wand und zerfetzte die Gesichter der kleinen Cherubine auf
     dem Fries eines Pfeilers. Dann erblickte er die Figur. Eine bemalte Holzfigur. Alle sahen sie. Und erstarrten.
    Sie stand, den Kopf leicht geneigt, da, mit schmalen Händen das in Falten gelegte Gewand raffend, jede Falte sang einen Hymnus
     auf die Kunst des Bildschnitzers. Leicht in die Höhe gereckt und stolz, als wolle sie ihren angeschwollenen Leib noch deutlicher
     zeigen, blickte sie die gebenedeite Madonna mit ihren geschnitzten und bemalten Augen an, und ihre Augen strahlen
gratia
und
agape
aus. Die gebenedeite Madonna lächelte, und in dieses Lächeln hatte der Künstler Größe, Ruhm und Hoffnung gelegt, die Helle
     der Morgenröte nach der dunklen Nacht. Und die Worte
magnificat anima mea Dominum
, leise und voller Liebe gesprochen.
    Magnificat anima mea Dominum.
    Et omnia quae intra me sunt.
    |575| »Keine Figur«, schrie Krečiř und hob die Keule, »keine Figur! Ich strafe die Götzen Babylons!«
    Niemand wusste, wie Samson plötzlich vor die Figur geraten war, zwischen sie und den Prediger. Aber er stand da und verwehrte
     diesem den Zugang mit zum Kreuz erhobenen Händen. Was tut er, dachte Reynevan, der Taulers erschrockene Miene und das zu einer
     Grimasse der Resignation erstarrte Gesicht Scharleys sah. Was tut er da, um Gottes willen? Sich gegen einen Prediger der Waisen
     aufzulehnen, kam dem Selbstmord gleich   ... Zudem hatte Krečiř im Prinzip Recht   ... Im neuen Zeitalter würde man keinen Idolen oder Statuen huldigen oder gar vor ihnen das Haupt senken. Ein solches Risiko
     eingehen für eine Figur, die aus einem Stück Lindenholz geschnitzt war? Samson   ...
    Der Prediger tat erschrocken einen Schritt nach hinten. Aber er hatte sich schnell wieder gefasst.
    »Einen Götzen verdeckst du? Einen Götzen verteidigst du? Du spottest über das Bibelwort, du Lästerer?«
    »Mach etwas anderes kaputt«, antwortete Samson in aller Seelenruhe. »Das hier nicht.«
    »Das hier nicht? Das hier nicht?« Krečiř hatte Schaum vor dem Mund. »Ich werde dir   ... Ich werde dir   ... Los, Kinder! Auf ihn! Schlagt ihn!«
    Im selben Augenblick stellte sich Scharley blitzschnell neben Samson, neben ihn Tauler, daneben Drosselbart, Řehors und Bisclavret.
     Und Reynevan. Ohne dass er selbst wusste, wann, wie und warum. Aber er stand da. Und er beschützte Samson und die Figur.
    »So ist das also? So ist das, ihr Häretiker?«, kreischte Krečiř. »Ihr Götzenanbeter! Los, Kinder! Auf sie!«
    »Halt!«, ertönte von der Vorhalle her eine klangvolle, herrische Stimme. »Halt, habe ich gesagt!«
    Zusammen mit Prokop dem Kahlen betraten Královec, Prokupek, Jaroslav von Bukowina und Urban Horn die Kirche. Ihre Schritte
     hallten durch das Kirchenschiff und weckten ein |576| bedrohlich wirkendes Echo. Die Fackeln warfen drohende Schatten.
    Prokop trat näher, und mit einem raschen, strengen Blick

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