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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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hatte. »Es ist wohl wahr, wenn sie sagen:
qui altari servit, ex altari vivit.
«
    »Und Trinkgefäße findet man auch allenthalben.« Řehors hob den mit Messwein gefüllten Kelch hoch. »Da braucht keiner wie der
     Hund aus dem Fass zu schlabbern   ... Und lesen kann man   ... Stimmt’s, Samson? Samson!«
    »Wie?« Der Riese hob den Kopf. »Ach so   ... Ihr werdet es nicht glauben, in diesem lateinischen Werk habe ich einen Satz auf Deutsch gefunden. Die Handschrift stammt
     aus dem Jahre 1231, aus der Zeit kurz nach Heinrich dem Bärtigen. Da, vorne drauf, steht das Datum:
Anno verum millesimo CCXXXI
, darunter hingeklatscht, als hätt ein Ochse es geschrieben:
benefactor noster Henricus cum barba Dei gratia dux Silesiae, Cracoviae et Poloniae   ...
«
    »Wie lautet denn der deutsche Satz?« Drosselbart interessierte sich dafür.
    »›Wolt edle frouwe der minne gedenken‹«, las Samson Honig vor, »›so wolt si der summer dem hertze schenken.‹«
    »Unsinn!«
    »Stimmt!«
    »Und der Reim ist für ‘n Arsch.«
    »Stimmt auch.«
    |572| Aus der Vorhalle waren, durch den Widerhall verstärkt, Schritte, Geklirr, Gepolter und das Durcheinander aufgeregter Stimmen
     zu hören. Fackeln und Kienspäne erhellten das Dämmerlicht, und man konnte jetzt diejenigen erkennen, welche die Kirche betraten.
     Scharley fluchte. Pešek Krečiř, ein Prediger der Waisen, einer von Prokupeks Untergebenen, machte ihnen seine Aufwartung.
     Hinter Krečiř tauchten ein paar bewaffnete junge Kerle auf. Scharley fluchte erneut.
    So wie das Heer von Tábor wurde auch das der Waisen immer von Frauen begleitet, die sich hauptsächlich um die Verpflegung
     und die Küche kümmerten und manchmal die Verwundeten und die Kranken pflegten. Diese Frauen, in der Mehrzahl Witwen, hatten
     ihre Kinder dabei. Die älteren Kinder wuchsen im Laufe der Zeit zu einer für die Hussitenarmee charakteristischen Gruppe heran
     – die Abteilungen der Halbwüchsigen. Auf ihren Märschen nahmen diese sowohl Hirtenbuben aus den Dörfern wie auch Gassenjungen
     aus den Städten auf, und so vergrößerten sich diese Abteilungen stetig. Rasch wurden die Minderjährigen zu Maskottchen und
     Nesthäkchen der Armee, zu allseits begünstigten und verwöhnten Hätschelkindern. Da sie dies schnell spitzgekriegt hatten,
     waren die geliebten Hätschelkinder rasch unverschämt geworden. Die hussitische Propaganda, die aus ihnen »Gotteskinder der
     neuen Ordnung« gemacht hatte, säte bei diesen Rotzbuben Grausamkeit und Fanatismus, und dieser Same war bei ihnen, wie bei
     allen Kindern, auf ungewöhnlich fruchtbaren Boden gefallen. Überall nannte man sie nur die »Schleuderbuben«, denn sie waren
     hauptsächlich mit Schleudern versehen, der Lieblingswaffe von Gassenjungen und Hirtenbuben. Reynevan hatte noch nie gesehen,
     dass die Schleuderbuben ihre Schleudern im Kampf einsetzten. Ja nicht einmal, dass sie kämpften. Er hatte sie allerdings bei
     anderer Gelegenheit gesehen. Nach der Schlacht bei Aussig hatten die »Gotteskinder« den besiegten Sachsen die Augen ausgestochen,
     indem sie ihnen angespitzte Stöckchen in die Helmöffnungen stießen. Vor kurzem |573| erst, in Ziegenhals, bei Neisse, in Wartha, in Frankenstein und in Goldberg, waren die Gefangenen geschlagen, getreten, mit
     Steinen beworfen, verstümmelt, mit heißem Wasser und mit kochender Milch übergossen worden.
    »Was denn«, fragte Krečiř streng und deutete auf den Messkelch, aus dem Řehors gerade trank, »brichst du das Gesetz, Bruder?
     Du bittest doch nicht etwa um Bestrafung? Die Beute soll zu einem Haufen, der allen gehört, zusammengetragen werden! Wer auch
     nur eine Kleinigkeit für sich behält, wird bestraft! Getreu dem Buchstaben der Heiligen Schrift! Achan, der Sohn Serachs vom
     Stamme Juda, der von der Beute, die Gott gehörte, einen Mantel und Gold stahl, wurde im Tale Achor gesteinigt und verbrannt!«
    »Das ist doch nur versilbertes Messing«, stammelte Řehors. »Aber gut, ich geb’s her, nehmt es.«
    »Und das hier?« Der Prediger riss Samson die Schrift aus der Hand. »Was ist das? Weißt du nicht, Bruder, dass ein neues Zeitalter
     heraufzieht? Dass man in diesem neuen Zeitalter keine Schriften braucht und auch sonst nichts Geschriebenes, weil das Testament
     Gottes in die Herzen eingeschrieben ist? Die alte Welt soll im Feuer vergehen!«
    Die Schrift mit dem deutschen Satz aus dem Jahre 1231 flog ins Feuer.
    »Die alte Welt soll vergehen! Und ihre verlogene

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