Gottesstreiter
er
sein Mädchen all dem nicht aussetzen, er durfte nicht zulassen, dass sie seinetwegen leiden musste.
Das Gespräch mit der Äbtissin hatte vielleicht nicht alles verändert, zumindest aber vieles. Das Kloster in Weißkirchen, die
Tatsache, dass sie dort weilte, konnte für Jutta noch viel gefährlicher werden als ihre Beziehung zu und ihre Verbindung mit
Reynevan. Die Thesen Joachims und der Spiritualen, die Häresie der Gründer der Dritten Kirche – er konnte immer |633| noch nicht in anderen Begriffen daran denken –, der Kult der Guillemette und der Mayfreda waren für Rom und die Inquisition eine ebenso schwer wiegende Irrlehre wie die
Lehre eines Hus. Jegliche Häresie und Ketzerei wurden von Rom in eins gesetzt. Jeder Ketzer wurde als Diener des Teufels betrachtet.
Dies betraf auch – was geradezu lächerlich war – den Kult der Großen Mutter, der älter war als die Menschheit selbst. Und
als der Teufel, den doch erst Rom erdacht hatte.
Aber eine Tatsache war unumstößlich: Der Kult der Allmutter, die Verehrung der Guillemette, die Lehre Joachims, die Schwesternschaft
des Freien Geistes, die Dritte Kirche – jeder einzelne dieser Entwürfe reichte aus, um ins Gefängnis und auf den Scheiterhaufen
zu kommen oder in den Kerkern der Dominikaner lebendig begraben zu werden. Jutta durfte nicht im Kloster bleiben.
Man musste etwas unternehmen.
Reynevan wusste schon, was. Oder erfasste es zumindest instinktiv.
»Du hast mich im Winter gefragt, ob ich bereit sei, alles hinzuwerfen.« Er drehte sich auf die Seite und sah ihr in die Augen.
»Ob ich bereit sei, so, wie ich hier stünde, wegzugehen und mit dir bis ans Ende der Welt zu wandern. Ich antworte mit Ja.
Ich liebe dich, Jutta, ich möchte mich mit dir bis zum Ende unseres Lebens verbinden. Die Welt tut, wie es scheint, was sie
kann, um uns daran zu hindern. Lass uns also alles stehen und liegen lassen und weggehen. Und wenn es bis nach Konstantinopel
ist!«
Sie schwieg lange und streichelte ihn nachdenklich.
»Und deine Mission?«, fragte sie schließlich langsam, dabei jedes Wort abwägend. »Du hast doch eine Mission. Hast eine Überzeugung.
Du hast eine wirklich wichtige und heilige Pflicht. Du willst die Welt verändern, sie verbessern, sie besser machen. Also?
Missachtest du deine Mission? Gibst du sie auf? Vergisst du den Gral?«
|634| Gefahr, dachte er. Achtung! Gefahr!
»Die Mission«, fuhr sie fort und sprach noch langsamer, »die Überzeugung, die Berufung, die Aufopferung, die Ideale. Das Königreich
Gottes und der Wunsch, es möge heraufziehen. Der Traum davon, dass es heraufzieht. Der Kampf darum, dass es heraufzieht. Sind
das Dinge, auf die man verzichten kann, Reinmar?«
»Jutta!« Er hatte sich entschieden und stützte sich jetzt auf den Ellenbogen. »Ich kann nicht mit ansehen, dass du dich in
Gefahr begibst. Gerüchte darüber, wozu ihr euch hier bekennt, sind im Umlauf, viele wissen, was in diesem Kloster vor sich
geht, mir ist es in diesem Winter zu Ohren gekommen, Ende letzten Jahres. Das ist kein Geheimnis mehr. Die Denunziationen
haben ihre Adressaten vielleicht schon erreicht. Ihr seid äußerst bedroht. Mayfreda da Pirovano ist in Mailand auf dem Scheiterhaufen
verbrannt worden. Fünfzehn Jahre später, im Jahre 1315, haben sie in Schweidnitz fünfzig Beginen verbrannt ...«
Und die Adamitinnen in Böhmen, dachte er plötzlich. Und die gefolterten und verbrannten Pikardinnen? Die Lehre, der ich mich
verschrieben habe, verfolgt Dissidenten nicht weniger grausam als Rom ...
»Jeder Tag kann dein Verderben bringen, Jutta. Du könntest umkommen ...«
»Du könntest auch umkommen«, unterbrach sie ihn. »Du könntest im Krieg fallen. Du hast auch etwas riskiert.«
»Ja, aber nicht für ...«
»Hirngespinste, ja? Los, weiter, sag’s doch laut! Hirngespinste. Hirngespinste von Weibern?«
»Ich wollte überhaupt nicht ...«
»Doch, du wolltest.«
Sie schwiegen. Hinter dem Fenster die Augustnacht. Und die Grillen.
»Jutta.«
»Ich höre, Reinmar.«
|635| »Lass uns fortgehen. Ich liebe dich. Wir lieben uns, und die Liebe ... Lass uns das Reich Gottes in uns selbst finden.«
»Ich soll dir glauben? Dass du aufhörst ...«
»Glaube mir!«
»Du opferst mir viel«, sagte sie nach einer langen Pause. »Ich weiß das zu schätzen. Und ich liebe dich dafür noch mehr. Aber
wenn wir unsere Ideale verwerfen ... Wenn du deine aufgibst und ich meine
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