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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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hatten, hätte ein Teil unter dem Druck der wütenden Inquisition seine
     Ansichten radikal ändern und zu dem Schluss gelangen können, mit Wyclif nicht mehr sympathisieren zu wollen und Hus sehr viel
     weniger zu mögen als vordem. Unter ihnen konnten aber auch welche sein, die, freiwillig oder unter Repressionen, radikal die
     Seiten gewechselt hatten. Umgedreht und angeworben warteten sie nun darauf, dass sich jemand bei ihnen meldete. Und sobald
     sich jemand meldete, würden sie im Nu die entsprechenden Stellen davon in Kenntnis setzen.
    Der Kontakt mit einem jeden früheren Agenten barg also immer ein großes Risiko in sich, und er sollte nicht hergestellt werden,
     bevor man sich nicht ausreichend abgesichert hatte. Und für drei, das war gar keine Frage, war es hundertmal leichter, sich
     abzusichern, als für zwei.
    Mehr als einen Monat zogen Reynevan, Řehors und Bisclavret |641| nun schon durch Schlesien – manchmal durch Kälte und Herbstregen, dann wieder im hellen Sonnenschein, von Fäden des Altweibersommers
     umwoben. Sie waren in vielen Ortschaften gewesen, von den großen Städten wie Breslau, Liegnitz und Schweidnitz bis hin zu
     Dörfern, Weilern und Siedlungen, deren Namen man einfach nicht behalten konnte. Sie hatten verschiedene Leute aufgesucht,
     verschiedenen Leuten mit unterschiedlichen Methoden und mit unterschiedlichem Erfolg die früher beschworene Verbundenheit
     mit der Sache ins Gedächtnis gerufen. Hals über Kopf fliehen mussten sie nur einige Male. Einmal, in Ratibor, als Řehors einer
     von der Inquisition aufgestellten Falle durch einen Sprung aus dem Fenster im ersten Stock eines Wohnhauses hinunter auf den
     Markt entkam, dem ein beeindruckender Galopp durch die Lange Gasse bis zum Nikolai-Tor folgte. Ein andermal wurden sie alle
     drei in der Vorstadt von Steinau umzingelt und flohen, wobei ihnen der Nebel trefflich zu Hilfe kam, der sich wie auf Bestellung
     aus den Odersümpfen erhob. Später, in Schurgast, mussten sie ihren Verfolgern, die hartnäckig an ihren Fersen klebten, so
     schnell entfliehen, wie die Pferde galoppieren konnten, als die Söldner, welche die Zollstation und die Brücke über die Glatzer
     Neiße bewachten, Verdacht geschöpft hatten. Und dann, in Namslau, hatte, während Řehors und Reynevan mit einem Böttcher sprachen,
     der den Rückzug sichernde Bisclavret dessen Sohn, einen zwölfjährigen Bengel, den der Vater heimlich zur Stadtwache schicken
     wollte, ergriffen und in die Stube gezerrt. Bevor man noch Judas Ischariot sagen konnte, hatte sich der Böttcherssohn am Boden
     gekrümmt und sich aus seiner von der Navaja durchtrennten Kehle Blut ergossen, und während Böttchersfrau und Töchter in den
     verschiedensten Tonlagen lamentierten, hatten die Gefährten, über Zäune springend, Reißaus genommen und waren auf die im Dickicht
     verborgenen Pferde zugelaufen.
    »Im Kampf um die gerechte Sache gibt es keine Ethik.« Řehors richtete sich stolz auf, als Reynevan ihm einige Zeit später |642| Vorwürfe machte, vor allem des Zwölfjährigen wegen. »Erfordert es die Sache, dass getötet werden muss, dann wird getötet.
     Der Geist der Zerstörung ist zugleich ein schöpferischer Geist. Töten für die gerechte Sache ist kein Verbrechen, daher darf
     man auch nicht zögern, für die gerechte Sache zu töten. Erhobenen Hauptes und sicheren Schrittes betreten wir die Bühne der
     Geschichte. Wir verändern die Geschichte, Reinmar, und formen sie. Wenn die neue Welt ersteht, werden die Kinder alles darüber
     in der Schule lernen. Und die Bezeichnung dafür, was wir tun, wird die ganze Welt kennen. Das Wort ›Terrorismus ‹ wird in
     der ganzen Welt zu hören sein.«
    »Amen«, schloss Bisclavret.
    Zwei Tage später kehrten sie zurück. Řehors und Bisclavret hatten den Namen des Namslauer Agenten herausbekommen, der den
     Böttcher angeworben hatte. Sie töteten ihn. Sie stachen ihn mit ihren Messern nieder, als er nachts von der Schenke nach Hause
     kam.
    Man musste zugeben, dass der Geist der Vernichtung von Tag zu Tag erfinderischer wurde.
     
    »Nun meckere doch nicht ständig herum.« Bisclavret verzog das Gesicht, als er sah, was für eine Miene Reynevan aufgesetzt
     hatte. »Eines Tages kriegen wir von Filou den Befehl, dann ziehen wir drei gemeinsam los und packen diesem Grellenort, der
     deinen Bruder ermordet hat, das Messer in den Bauch. Oder Herzog Johann von Münsterberg. Oder dem Bischof von Breslau höchstpersönlich.
     Was ist,

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