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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Bleib und lebe es. So sehr und so lange es geht. Bleib und verhalte dich klug. Trenne das, was zart ist,
     von dem, was undurchdringlich ist. Dann erringst du dir den Ruhm dieser Welt. Und alle Dunkelheit weicht von dir. Das sage
     ich dir, dein Freund, das Wesen, das als Samson Honig bekannt ist. Du musst mir glauben, denn
vocatus sum Hermes Trismegistus, habens tres partes philosophiae totius mundi.
Hör mir gut zu. Der Brand ist noch nicht gelöscht und erstickt, er ist nur ein wenig kleiner geworden, er glimmt noch. Jeden
     Tag kann die Welt erneut in Flammen stehen. Und wir werden uns wieder begegnen. Aber bis dahin   ... Leb wohl, mein Freund.«
    »Leb wohl, mein Freund. Glückliche Reise. Und grüße Prag von mir.«
     
    Am Waldrand wandte Samson sich noch einmal im Sattel um und winkte ihnen. Sie grüßten zurück, bevor er zwischen den Bäumen
     verschwand.
    »Ich habe Angst um ihn«, flüsterte Reynevan. »Bis nach |631| Böhmen ist es ein weiter Weg. Die Zeiten sind schwer und gefährlich   ...«
    »Er wird sicher dort ankommen.« Jutta schmiegte sich an ihn. »Hab keine Angst. Er wird wohlbehalten ankommen. Ohne böse Zwischenfälle.
     Und er wird sich nicht verirren. Jemand wartet auf ihn. Jemandes Laterne wird im Dunklen leuchten und ihm den Weg weisen.
     Wie Leander wird er den Hellespont sicher überqueren. Denn auf ihn warten Hero und ihre Liebe.«
     
    Es war der erste August. Beim Alten Volk und bei den Hexen war es der Tag des Festes Hlafmas. Das Erntefest.
     
    Die ganze Woche schon trug Reynevan sich mit der Absicht, ein Gespräch mit Jutta zu führen. Er fürchtete dieses Gespräch,
     er hatte Angst vor den Konsequenzen.
    Jutta hatte oft mit ihm über die Lehren von Hus und Hieronymus gesprochen, über die Vier Prager Artikel und, ganz allgemein,
     über die Bedingungen der hussitischen Reformen. Obwohl sie gewissen Doktrinen des Utraquismus skeptisch gegenüberstand, hatte
     sie nie, mit keinem Wort, ja nicht einmal mit der geringsten Anspielung oder Andeutung das erwähnt, wovor er sich fürchtete,
     nämlich dass seine Begeisterung die eines Neophyten war. Das Kloster in Weißkirchen – das Gespräch mit der Äbtissin hatte
     keinen Zweifel daran gelassen – war durchdrungen von der Lehre des Joachim von Fiore, des Begründers der Dritten Kirche und
     der Schwesternschaft des Freien Geistes; die Äbtissin, die Nonnen und gewiss auch die
conversae
verehrten die ewige und dreifaltige Große Mutter, was sie mit der Bewegung der Verehrerinnen der Guillemette de Bohème als
     weibliche Inkarnation des Heiligen Geistes verband. Und Mayfreda da Pirovano, die erste guglielmitische Päpstin. Hinzu kam,
     dass die Nonnen offensichtlich weiße Magie betrieben und sich damit dem Kult der Aradia, der Königin der Hexen, verbanden,
     die in Italien
La Bella Pellegrina
|632| genannt wurde. Aber obwohl Reynevan aufmerksam wie ein Kranich um Jutta herumschlich und auf ein Signal oder Zeichen wartete,
     bekam er doch nichts zu fassen. Entweder konnte Jutta sich so gut tarnen und verbergen, oder aber sie war keine eifrige, flammende
     Neophytin der joachimitischen, guglielmitischen oder aradischen Lehren. Reynevan konnte weder die eine noch die andere Möglichkeit
     ausschließen. Jutta war sowohl schlau genug, sich zu maskieren, wie auch vernünftig genug, sich nicht kopfüber in etwas hineinzustürzen
     oder irgendwelchen dubiosen Strömungen zu folgen. Trotz der Gefühle, die sie zu verbinden schienen, trotz der häufig und einfallsreich
     praktizierten Liebe und obwohl es schien, als hätten ihre Körper voreinander schon längst keine Geheimnisse mehr, begriff
     Reynevan, dass er längst nicht alles über sie wusste und weit davon entfernt war, alle ihre Geheimnisse zu ergründen. Aber
     wenn es so war, dass sich Jutta noch nicht vollständig mit der Häresie verbunden hatte, sie vielleicht noch zögerte, zweifelte
     oder dieser gar kritisch gegenüberstand, war es nicht ratsam, das Thema aufzugreifen.
    Andererseits war es auch nicht ratsam, es hinauszuzögern und tatenlos zuzusehen. Bisher hatte er sich die Worte der Grünen
     Dame zu Herzen genommen. Er war in Schlesien ein Provokateur, ein mit dem Bannfluch Belegter, ein Hussit, ein Feind, ein Spion
     und Agent. Das, was er war, woran er glaubte und womit er sich herumschlug, setzte Jutta der Gefahr und dem Risiko aus. Die
     Grüne Dame, Agnes de Apolda, Juttas Mutter, hatte Recht – wenn er auch nur einen Funken Anstand im Leibe hatte, durfte

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