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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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blickte von oben, aus der Höhe seines Rittersattels, auf ihn herab. Er hatte helle,
     graublaue Augen. Reynevan wusste jetzt wieder, an wen ihn die Augen und die Gesichtszüge der Äbtissin erinnert hatten.
    »Gottes Mühlen mahlen langsam, aber trefflich fein«, verkündete Johann von Münsterberg nasal und mit großem Pathos. »Langsam,
     aber trefflich fein, jawohl. Du hast der Religion und dem Kreuz abgeschworen, Bielau, du Judas. Hast schwarze Magie betrieben.
     Mir nach dem Leben getrachtet. Auf Verbrechen folgt Strafe, Bielau. Auf Verbrechen folgt Strafe.«
    Kaum hatte er diese Sentenz ausgesprochen, blickte er nicht mehr auf Reynevan herab, sondern in Richtung Klostergarten. Dort
     standen vier Nonnen. Unter ihnen auch die Äbtissin.
    |660| »In diesem Kloster wurden Hussiten versteckt«, verkündete der Herzog mit dröhnender Stimme und richtete sich in den Steigbügeln
     auf. »Spionen und Verrätern wurde hier Asyl gewährt! Das wird nicht ungestraft bleiben! Hörst du mich, Weib?«
    »Nicht du wirst mich strafen«, erwiderte die Äbtissin mit lauter und furchtloser Stimme. »Nicht du! Du brichst das Recht,
     Herzog Johann! Du brichst das Recht! Zu diesem Kloster hast du keinen Zutritt!«
    »Das ist mein Land, und hier bestimme ich, was Recht ist! Und dieses Kloster existiert allein durch die Gnade meiner Vorfahren!«
    »Dieses Kloster existiert durch die Gnade Gottes! Und untersteht weder deiner Herrschaft noch deiner Rechtsprechung! Du hast
     kein Recht, dieses Kloster zu betreten, weder du noch deine bewaffneten Mannen! Und auch nicht dieser Lump da mit seinen Strauchdieben!«
    »Aber der da«, Johann von Münsterberg stand aufrecht in den Steigbügeln, »der hatte das Recht, hier zu sein? Den ganzen Sommer
     über? Ist es rechtens, Frau Schwester, Häretiker hier zu verstecken? Solche wie den da, der dort liegt?«
    Reynevan schaute in die Richtung, in die der Herzog gedeutet hatte. Dort, wo die Mauer, die den Klostergarten umgab, auf die
     mit vertrocknetem Efeu bedeckte Wand des Infirmariums traf, lag Bisclavret. Reynevan erkannte ihn an seinem maßgeschneiderten
     Rock aus Kalbsleder, den der Franzose erst vor kurzem erworben hatte und in dem er sich von allen hatte bewundern lassen.
     In diesem Augenblick war er nur noch an seinem Rock zu erkennen. Sein Leichnam war auf grauenhafte Weise entstellt. Der hellhaarige
miles gallicus
, früher ein Écorcheur und Beutelschneider, hatten seinen Gegnern allem Anschein nach einen schweren Kampf geliefert. Lebend
     hatten sie ihn nicht gekriegt.
    »Wie ist es nun?«, fragte der Herzog spöttisch. »Besitzt dieses Kloster etwa einen Dispens zur Beherbergung von Ketzern |661| und Verbrechern? Ich denke, nicht. Also schweig, Weib, schweig! Bezeuge Demut. Herr Borschnitz, befehlt Euren Leuten, die
     Ställe dort zu durchsuchen! Da können sich noch andere verbergen!«
    Der Mauerläufer packte den gebundenen Reynevan beim Kragen, schleifte ihn zur Äbtissin und blieb dicht vor ihr stehen, Auge
     in Auge.
    »Wo ist sein Kamerad«, zischte er, »der Riese mit dem Idiotengesicht? Rede, Nonne!«
    »Ich weiß nicht, worum es dir geht!«, antwortete die Äbtissin furchtlos. »Auch nicht, um wen es dir geht!«
    »Du weißt es. Und du wirst mir sagen, was du weißt!«
    »
Apage
, du Satansbrut!«
    In den Augen des Mauerläufers glomm ein höllisches Feuer auf, aber die Äbtissin senkte auch diesmal die Augen nicht. Der Mauerläufer
     beugte sich zu ihr vor.
    »Rede, Weib. Oder ich sorge dafür, dass du es bereust. Du und deine Nönnlein!«
    »Heda, Grellenort!« Der Herzog saß immer noch reglos auf seinem Pferd, er richtete sich jetzt nur stolz im Sattel auf. »Was
     soll das, kochst du etwa dein eigenes Süppchen? Ich gebe hier die Befehle! Ich richte, und ich setze die Strafen fest! Nicht
     du!«
    »Die Nonnen halten noch mehr Ketzer versteckt, Herzog. Da bin ich mir sicher. Sie halten sie in der Klausur versteckt. Sie
     denken, dass wir dort nicht hingelangen, und verspotten uns.«
    Johann von Münsterberg schwieg eine Weile und kaute auf seiner Unterlippe.
    »Wir durchsuchen auch die Klausur!«, entschied er schließlich mit kalter Stimme. »Herr Borschnitz!«
    »Das wirst du nicht wagen!«, rief die Äbtissin. »Das ist Heiligenschändung, Johann! Ich exkommuniziere dich dafür!«
    »Aus dem Weg, Schwester! Herr Borschnitz, ans Werk!«
    »Ihr Ritter!«, rief die Äbtissin aus, während sie die Hände hob und den Bewaffneten den Weg versperrte. »Soldaten! |662|

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