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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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voller
     Zerstörungswut und Hass, ein Feuer aus blinder Rache als Antwort auf den Scheiterhaufen von Konstanz? Oder nur ein einfaches
     Biwakfeuer, das man entzündet hatte, um den Kessel mit der verklumpten Grütze vom gestrigen Tag aufzuwärmen, an einem Ort,
     der Schutz vor Regen und Kälte bot? Das konnte man nicht mit Sicherheit sagen. Reynevan sah in diesem eroberten Kirchlein
     beide Arten von Feuer.
    Die Magie, die er spürte, ging von hier aus. Denn hier, an der Stelle, wo einst der Altar gestanden hatte, lag ein Hexenzeichen.
     Ein Sechseck, geflochten aus Zweigen, Bast, Streifen von Birkenrinde, bunter Wolle und Fäden, mit welkem Farn, Waldmeister,
     Eichenlaub und einem Erysimon genannten Kraut, das die Dwimmerkraft, die Kraft der Magie, deutlich erhöhte. Das Hexenzeichen
     konnte, so wie es gefertigt war, von |655| Dorfhexen oder von jemandem vom Alten Volk stammen. Irgendjemand – entweder eine Hexe oder einer vom Alten Volk – hatte es
     hierher gebracht und hingelegt. Um Ehre zu erweisen. Ehrfurcht zu bezeugen. Und Mitgefühl zu zeigen.
    Auf die geglätteten Bretter, mit denen die Wände der Apsis verkleidet waren, war etwas gemalt. Diese Bilder trugen keine Spuren
     von Axtschlägen, sie waren auch nicht mit Erde oder Exkrementen beschmiert worden, anscheinend hatte den hier kampierenden
     Gottesstreitern die Zeit dazu gefehlt. Oder die Lust.
    Reynevan trat näher.
    Das Bild nahm die ganze Apsis ein. Es war ein Bilderzyklus, eine Sequenz aufeinander folgender Szenen.
    Der Totentanz.
    Der Maler war kein großer Künstler gewesen. Eher ein wenig begnadeter und zweifelsohne einer, der nur über primitive Mittel
     verfügte. Wer weiß, vielleicht hatten der Priester oder der Vikar aus Gründen der Sparsamkeit selber zum Pinsel gegriffen?
     Die Gestalten waren sehr einfach gemalt, in ihren Proportionen fast lächerlich. Erschreckend komisch waren die zaundürren
     Skelette, die die
dramatis personae
packten und in einen tödlichen Reigen zogen: den Papst, den Kaiser mit seiner Krone, den Ritter in Rüstung und mit Lanze,
     den Kaufmann mit einem Sack voller Gold und den Astrologen mit übertrieben semitischen Zügen. All diese Gestalten waren komisch,
     übertrieben pathetisch, sie erweckten wenn schon kein Gelächter, dann doch ein mitleidiges Lächeln. Erbarmungswürdig sah auch
     der Tod selbst aus, lächerlich grotesk, in einer Pose und mit einem Bahrtuch wie aus dem Puppenspiel verkündete er sein eschatologisches
memento mori
, das mit schwarzen kantigen Lettern auf seinem Totenschädel geschrieben war. Die Buchstaben waren gleichmäßig, die Schrift
     leserlich – der Künstler war ein entschieden besserer Kalligraph als Maler gewesen.
    |656|
Heran ihr Sterblichen,
    Umsonst ist alles Klagen.
    Ihr müsset einen Tanz nach meiner Pfeife wagen.
    Das Hexenzeichen pulsierte unerwartet vor magischer Kraft. Und der Tod wandte plötzlich seinen grotesken Totenschädel. Und
     war nicht mehr grotesk. Er wurde schrecklich. Im dunklen Innenraum des Kirchleins wurde es noch finsterer. Das Bild auf den
     Brettern hingegen gewann an Helligkeit. Das Bahrtuch des Todes wurde weiß, die toten Augen flammten auf, die Sense in den
     Knochenhänden blitzte.
    Vor dem Tod stand, demütig gebeugt, die Jungfrau, eine der allegorischen Gestalten des Totentanzes. Die Jungfrau trug Juttas
     Züge. Sie hatte Juttas Stimme. Mit Juttas Stimme flehte sie den Tod um Gnade an. Juttas flehende Stimme hallte in Reynevans
     Kopf wider wie eine Flöte, wie ein Kirchenglöckchen.
    Sum sponsa formosa
    mundo et speciosa.
    Die Stimme des Todes, die auf das Flehen antwortete, war wie das Knirschen brechender Knochen, wie wenn Eisen über Glas kratzte,
     wie das Quietschen einer rostzerfressenen Friedhofstür.
    Iam es mutata,
    a colore nunc spoliata.
    Reynevan begriff. Er stürzte aus der Kirche, warf sich aufs Pferd und trieb es schreiend und indem er ihm die Sporen gab zum
     Galopp an. In seinen Ohren gellte und keuchte noch immer die grausame Stimme.
    Iam es mutata,
    a colore nunc spoliata!
    |657| Er sah schon von weitem, dass im Kloster etwas nicht stimmte. Die meist fest verschlossene Pforte stand sperrangelweit offen,
     über den Innenhof glitten die Umrisse von Menschen und Pferden. Reynevan beugte sich im Sattel vor und trieb sein Pferd zu
     einem noch rascheren Galopp an.
    In diesem Augenblick schnappten sie ihn.
     
    Zuerst spürte er den Zauber, eine hingeworfene Beschwörung, eine blitzartige Entladung von Energie, die das

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