Gottesstreiter
Kelch abgebildet, aus dem Sonne und Mond emporstiegen. Darunter erglänzten die Lettern
V.I. T.R.I.O.L., die sich aus den Anfangsbuchstaben von
Visita Inferiora Terrae Rectificando Invenies Occultum Lapidem,
der geheimen Transmutationsformel der Alchemisten, ergaben.
Stephan von Drahotuše berührte die Tür und sprach die Beschwörungsformel. Die Tür öffnete sich knarrend und quietschend. Sie
traten ein. Scharley seufzte laut auf.
»Nicht schlecht«, brummte er, während er sich umsah. »Nicht schlecht ... Das muss ich zugeben.«
»Mir hat es beim ersten Mal auch die Sprache verschlagen«, versicherte ihm Reynevan schmunzelnd. »Dann habe ich mich daran
gewöhnt.«
In diesem großen alchemistischen Laboratorium, das den gesamten früheren Weinkeller einnahm, hörte die Arbeit nicht auf, ständig
war jemand zugange, ganz gleich, ob es Werktag oder Sonntag war. Die Öfen und Atanore, die eine unbarmherzige Hitze ausstrahlten,
erloschen nicht, was man besonders in der Winterzeit sehr zu schätzen wusste, und auch dann, wenn die Sommer kalt waren. In
den Atanoren vollzogen sich die Kalzination und das Ausglühen, die unterschiedlichsten Substanzen gingen von der
albedo
-Phase in die
nigredo
-Phase über und verströmten bei der Umwandlung einen entsetzlichen Geruch. In den Kolben wurde unaufhörlich gefiltert, destilliert
oder extrahiert, begleitet von heftigen Efferveszenzen und noch höllischerem Gestank. In gewaltigen Aludelen wirkten Säuren
auf Metalle ein, wobei sich unedle Metalle mit mehr oder minder großem Effekt in edlere umwandelten. In Tiegeln brodelte Mercurius
oder
argentum vivum,
Schwefel schmolz in Kupellen, in |98| Retorten wurden Nitrate geschieden und Salze abgesetzt, was einem die Tränen in die Augen trieb. Da wurde etwas aufgelöst,
dort koaguliert, da sublimiert, Säure spritzte nach allen Seiten und brannte Löcher in die Seiten der auf dem Tisch liegenden
kostbaren Exemplare von ›De quinta essentia‹ des Raimundus Lullus, des ›Speculum alchemicum‹ Roger Bacons und des ›Theatrum
chemicum‹ des Arnold de Villanova. Auf dem Fußboden standen übel stinkende Kübel voller
caput mortuum
herum.
Meist, auch als Svatopluk Fraundinst Reynevan zum ersten Mal hierher geführt hatte, waren im Laboratorium mindestens drei
oder vier Alchemisten bei der Arbeit. Heute war ausnahmsweise nur ein einziger da.
»Guten Tag, Meister Edlinger!«
»Kommt bloß nicht näher«, brummte der Alchemist, ohne seine Augen von dem großen Kolben zu wenden, der in heißem Sand stand,
»der kann gleich explodieren!«
Edlinger Brehm, einen Lizentiaten aus Heidelberg, hatte Herzog Wac ław, der Sohn Przemkos von Troppau, in Mainz kennen gelernt,
nach Leobschütz eingeladen und dorthin mitgebracht. Eine Zeit lang hatte Meister Edlinger den jungen Herzog mit Theorie und
Praxis der Alchemie bekannt gemacht. Wac ław hatte, wie viele Fürsten seiner Zeit, eine Schwäche für Alchemie und den Stein
der Weisen, und Brehm lebte in Saus und Braus, bis zu dem Moment, als ihn die Inquisition ins Visier nahm. Als die Leobschützer
Luft nach Scheiterhaufen zu riechen begann, flüchtete der Alchemist an die Prager Universität, wo ihn das Unwetter des Jahres
1419 ereilte. Als Deutscher, der sich von den anderen unterschied, fremd war und nur schlecht Böhmisch sprach, hatte er gewiss
schwierige Zeiten durchlebt. Aber die Magier vom »Erzengel« hatten ihn als einen der ihren erkannt und ihn gerettet.
Edlinger Brehm packte den Kolben mit einer Eisenzange und goss die blubbernde bläuliche Flüssigkeit in eine mit einer froschlaichähnlichen
Substanz gefüllte Schale. Es zischte, qualmte und stank erbärmlich.
|99| »Herrgottdonnerwetterhimmelkreuzhalleluja!« Es war klar, dass sich der Alchemist eine überzeugendere Reaktion erhofft hatte.
»Eine total beschissene Sache! Scheiße, Scheiße und noch einmal Scheiße! Seid ihr denn immer noch da? Ich bin beschäftigt!
Aha, ich weiß ... Ihr wollt sehen, wie es Axleben bei Samson gelingt?«
»Ja sicher!«, bestätigte Stephan von Drahotuše. »Wir gehen hin. Du nicht?«
»Im Prinzip«, Edlinger Brehm wischte sich die Hände mit einem Lappen ab und bedachte die Schale mit dem Froschlaich mit einem
bedauernden Blick, »im Prinzip kann ich auch hingehen. Hier hält mich nichts.«
Tief im Innern des Laboratoriums der Alchemisten verbarg sich in einer unscheinbaren Ecke hinter einem unscheinbaren Vorhang
ein kleines
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