Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
Spinnweben tauchte.
     »Illusorische Magie. Ganz einfach. Geradezu klassisch.«
    Die Tür, die er angestoßen hatte, öffnete sich nach innen, zusammen mit den illusorischen Spinnweben, die nach dem Öffnen
     aussahen, als hätte man ein Stück dicken Filz mit dem Messer herausgeschnitten. Hinter der Tür war eine Wendeltreppe, die
     nach oben führte. Die Stufen waren steil und so schmal, dass es die Ankömmlinge nicht verhindern konnten, ihre Schultern mit
     dem Putz von der Wand zu beschmutzen. Nach ein paar Minuten Geschnaufe stand man vor der nächsten Tür. Diese hatte niemand
     mehr verbergen wollen.
    |93| Hinter der Tür befand sich die Bibliothek. Sie war voll gestopft mit Büchern. Außer Büchern, Schriftrollen, Papyri und einigen
     seltsamen Exponaten gab es dort nichts. Es war gar kein Platz dafür.
     
    Überall lagen Inkunabeln herum, man konnte nicht einen Schritt tun, ohne zu stolpern, etwa über das ›Summarium Philosophicum‹
     von Nicolas Flamel oder den ›Kit āb al-Mans ūrī‹ von Rhazes, ›De expositione specierum‹ von Morienus oder ›De imagine mundi‹
     von Gervasius von Tilbury. Bei jedem unbedachten Schritt konnte man sich empfindlich den Knöchel an den beschlagenen Kanten
     des Einbandes von Werken wie die ›Semita recta‹ von Albertus Magnus, die ›Perspectiva ‹ von Witelo oder die ›Illustria miracula‹
     von Caesarius von Heisterbach stoßen. Es genügte schon, unachtsam ein Regal zu streifen, und ›De arte occulta‹ des Artephius,
     ›De universo‹ des Wilhelm von Auvergne oder der ›Liber de natura rerum‹ des Thomas von Cantimpré fielen einem in einer dichten
     Staubwolke auf den Kopf.
    In diesem ganzen Durcheinander konnte man versehentlich über etwas stolpern oder zufällig etwas berühren, das zu berühren
     ohne außerordentliche Vorsichtsmaßnahmen keineswegs ratsam war. Denn es kam vor, dass die Grimuarien, Traktate und Schriften
     über Magie selbst und aus eigenem Antrieb Zauber trieben: Manchmal genügte es schon, sich sorglos zu bewegen, zu klopfen oder
     zu pochen – und das Unglück war geschehen. Besonders gefährlich war in dieser Hinsicht das ›Grand Grimoire ‹, als sehr bedrohlich
     konnten sich auch die ›Aldaraia‹ und das ›Lemegeton‹ erweisen. Bei seinem zweiten Besuch im »Erzengel« hatte Reynevan das
     Pech gehabt, von dem mit Büchern und Schriftrollen übersäten Tisch einen dicken Band herunterzustoßen, der nichts anderes
     als der ›Liber de Nyarlathotep‹ war. In dem Moment, als die mit fettigem Staub verklebte Inkunabel zu Boden fiel, wackelten
     die Wände, und vier von den sechs Gläsern mit Homunculi, die auf dem Schrank gestanden |94| hatten, explodierten. Ein Homunculus verwandelte sich in einen federlosen Vogel, ein zweiter in eine Art Tintenfisch, der
     dritte in einen scharlachroten, aggressiven Skorpion und der vierte in einen Miniaturpapst in Pontifikalgewändern. Bevor auch
     nur irgendjemand irgendetwas unternehmen konnte, lösten sich alle vier in eine grüne, abscheulich stinkende, glibberige Masse
     auf, wobei es der Miniaturpapst noch schaffte,
»Beati immaculati, Cthulhu fhtagn!«
hervorzustoßen. Danach hatten sie alle Hände voll zu tun gehabt, alles wieder aufzuräumen.
    Dieser Zwischenfall hatte die Mehrzahl der Magier vom »Erzengel« amüsiert, einige waren aber nicht gerade mit goldenem Humor
     gesegnet, und Reynevan hatte in ihren Augen dadurch, um es vorsichtig auszudrücken, keineswegs gewonnen. Aber nur einer der
     Magier hatte ihn noch lange nach diesem Zwischenfall mit scheelen Blicken bedacht und ihn spüren lassen, was Antipathie hieß.
    Dies war, wie unschwer zu erraten, der Bibliothekar und Betreuer jener Büchersammlung.
     
    »Grüß dich, Stephan.«
    Stephan von Drahotuše, der Hüter der Bibliothek, hob den Kopf von den reich bebilderten Seiten der ›Archidoxa magica‹ des
     Apollonios von Tyana.
    »Grüß dich, Reynevan.« Er lächelte. »Schön, dich wieder mal zu sehen. Du bist lange nicht hier gewesen.«
    Es hatte Reynevan viel Mühe gekostet, nach jener Katastrophe in der Bibliothek das Verhältnis zu Stephan von Drahotuše wieder
     in Ordnung zu bringen. Aber er hatte es geschafft, und das mit einem Ergebnis, das alle Erwartungen übertraf.
    »Und dies hier«, der Bibliothekar kratzte sich mit einem staubbeschmutzten Finger an der Nase, »ist gewiss der Herr Scharley,
     von dem ich so viel gehört habe? Willkommen, willkommen.«
    Der aus einem alten mährischen

Weitere Kostenlose Bücher