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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Adelsgeschlecht stammende Stephan von Drahotuše war Mönch, Augustiner und – |95| selbstverständlich – Magier. Die übrigen Magier der Vereinigung vom »Erzengel« kannte er seit langem, schon seit seiner Studienzeit,
     aber erst 1420 hatte er sich in das Versteck in der Apotheke geflüchtet, nachdem sein Kloster auf dem Hradschin geplündert
     und verbrannt worden war. Im Unterschied zu den übrigen Magiern verließ er die Apotheke – oder, besser gesagt, die Bibliothek
     – so gut wie nie, er ging nie in die Stadt. Er war ein wandelnder Bibliothekskatalog, kannte jedes Buch und konnte es sofort
     ausfindig machen – unter den Bedingungen des in diesem Raum herrschenden Chaos war das eine Fähigkeit, die man nicht hoch
     genug veranschlagen konnte. Reynevan war daher auch stolz auf seine Freundschaft mit dem Mähren und verbrachte lange Stunden
     in der Bibliothek. Ihn interessierten Kräuterheilkunde und Pharmazie, und die Bibliothek im »Erzengel« war eine wahrhafte
     Fundgrube an Wissen. Außer Herbarien, Arzneilisten und bekannten, klassischen Pharmakopöen, wie die von Dioskurides, Walahfrid
     Strabo, Avicenna, Hildegard von Bingen oder Nikolaus von Polen, barg die Bibliothek auch unermessliche Schätze. Da gab es
     den ›Kit āb Sirr al-Asar‹ von Gābir, den ›Sefär ham-mirq āhôt ‹ des Sabbataj Donnolo, unbekannte Werke von Maimonides, Hālid,
     Apuleius, der Herrad von Landsberg – wie auch andere
antidotaria, dispensatoria
und
ricettaria
, von denen Reynevan bisher nichts gewusst und von denen er nicht einmal etwas gehört hatte. Er bezweifelte, dass man an den
     Universitäten etwas darüber vernehmen würde.
    »Also gut.« Stephan von Drahotuše machte das Buch zu und stand auf. »Gehen wir in die untere Kammer. Wir kommen gerade rechtzeitig,
     bald ist es beendet. Einerseits ist es reichlich extravagant, die Beschwörung nicht um Mitternacht zu beginnen, wie dies jeder
     normale Magier, der etwas auf sich hält, tun würde, sondern zur ersten Stunde des Tages, aber was soll’s   ... Es steht mir nicht zu, die Taten von jemandem wie dem
valde venerandus et eximius
Vinzenz Reffin Axleben aus Salzburg, der lebenden Legende, dem wandelnden Ruhm und dem Meister |96| aller Meister, zu kritisieren. Ha, ich bin wirklich gespannt, ob es dem Meister aller Meister bei Samson gelingen wird   ...«
    »Ist er gestern angekommen?«
    »Gestern, in den Nachmittagsstunden. Er hat etwas gegessen und getrunken und sich dann danach erkundigt, womit er uns helfen
     kann. Daraufhin haben wir ihm Samson vorgestellt. Der Venerandus ist sofort aufgesprungen und wollte wieder gehen, er war
     überzeugt, wir erlauben uns einen Scherz mit ihm. Da hat Samson dasselbe Kunststückchen angewendet, mit dem er uns letztes
     Jahr überrascht hat: Er hat ihn auf Lateinisch angesprochen und dann alles in der Koina und auf Aramäisch wiederholt. Ihr
     hättet das Gesicht des ehrenwerten Meister Vinzenz sehen sollen! Aber es hat gewirkt, ähnlich wie damals bei uns. Der ehrenwerte
     Vinzenz Reffin Axleben hat Samson interessiert und wohlwollend angesehen, ja, er hat sogar gelächelt, zumindest soweit ihm
     dies seine Gesichtsmuskulatur erlaubte, die sonst das Gesicht zu einer ebenso düsteren wie arroganten Grimasse erstarren lässt.
     Danach haben sich die beiden im
occultum
eingeschlossen   ...«
    »Nur die beiden?«
    »Der Meister aller Meister«, antwortete der Mähre lächelnd, »ist auch in dieser Hinsicht reichlich extravagant. Er stellt
     Diskretion über alles. Selbst wenn es an eine schwere Taktlosigkeit, um nicht zu sagen an eine Beleidigung grenzt. Verdammt
     noch mal, dieser alte Quacksalber ist hier zu Gast. Mich stört es nicht weiter, das geht mir sonstwo vorbei, Bezdĕchovsky
     śteht über solchen Dingen, aber Fraundinst, Teggendorf und Telesma   ... Die sind wütend, milde ausgedrückt. Und wünschen Axleben von Herzen eine Niederlage. Meiner Ansicht nach wird ihr Wunsch
     in Erfüllung gehen.«
    »Hä?«
    »Er macht denselben Fehler wie wir am Dreikönigstag. Weißt du noch, Reinmar?«
    »Und ob.«
    »Dann wollen wir mal. Hier entlang, Herr Scharley.«
     
    |97| Aus der Bibliothek heraus traten sie in einen Kreuzgang, vom Kreuzgang führte sie ihr Weg über eine Stiege hinunter ins Untergeschoss,
     wo sie vor einer eisenbeschlagenen Tür Halt machten. An der Tür befand sich ein Bild, ein Oval, in welchem man die erzene
     Schlange Moses, den
serpens mercurialis
, erblickte. Über der Schlange war ein

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