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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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anders. Ich brauche auch noch etwas
unguentum populeum

    Reynevan hatte vor Verwunderung schlucken müssen. Nach allem, was er gehört hatte, musste Svatopluk Fraundinst in der Apotheke
     ein bekannter und geschätzter Kunde sein, aber der glatzköpfige Apotheker machte den Eindruck, als sähe er ihn zum ersten
     Mal in seinem Leben.
    »
Unguentum
ist da, frisch hergestellt   ... Aber mit
cremor tartari
sieht es weniger gut aus   ... Benötigt Ihr viel?«
    »Zehn Drachmen.«
    »Zehn? So viel lässt sich wohl finden. Ich sehe nach. Tretet näher, Ihr Herren, hier herein.«
    Erst sehr viel später hatte Reynevan erfahren, dass das scheinbar idiotische Begrüßungsritual eine Bedeutung hatte. Die Vereinigung
     in der Apotheke »Zum Erzengel« wirkte unter striktester Geheimhaltung. War alles in Ordnung, bat der Ankömmling in der Apotheke
     um zwei, stets um zwei, Arzneien. Bat er nur um eine, hieß das, er wurde erpresst oder verfolgt. Drohte hingegen in der Apotheke
     eine Gefahr oder eine Falle, warnte Beneš Kejval dadurch, dass er vorgab, nur die Hälfte des Verlangten vorrätig zu haben.
    Hinter der Theke, hinter einer Eichentür, verbarg sich die eigentliche Apotheke mit ihrer typischen Einrichtung: Es fehlte
     weder an Schränken mit tausend kleinen Schubfächern noch an zahlreichen Gläsern und Flaschen aus dunklem Glas, |91| weder an Mörsern aus Messing noch an Waagen. Von der Sturzdecke herab hing an einer Schnur ein vertrocknetes Monstrum, die
     Standarddekoration von Magierkabinetten, Apotheken und Gauklerbuden, eine Sirene, halb Jungfrau, halb Fisch, in Wirklichkeit
     aber ein präparierter Rochen. Dementsprechend ausgebreitet und auf einem Brett befestigt und getrocknet, hatte der Fisch in
     der Tat »Sirenengestalt« angenommen – die Nasenöffnungen gaben die Augen ab, und die gebrochenen Teile der Flossen waren die
     Schultern. Derlei Fälschungen wurden in Antwerpen und Genua hergestellt, wohin die Rochen von arabischen Kaufleuten oder portugiesischen
     Seglern, die überall hinkamen, gebracht wurden. Manche waren so geschickt gefertigt, dass man sie nur mit großer Mühe von
     echten Meernixen unterscheiden konnte. Es gab aber ein probates Mittel zur Überprüfung der Echtheit – wirkliche Sirenen waren
     nämlich um das Hundertfache teurer als nachgemachte, und keine Apotheke hatte so viel Geld dafür übrig.
     
    »Antwerpische Arbeit.« Scharley taxierte mit dem Auge des Kenners die vertrocknete Scheußlichkeit. »Früher habe ich selbst
     welche verkauft. Die gingen weg wie warme Semmeln. In Breslau, in der Apotheke ›Zum goldenen Apfel‹, hängt noch heute eine
     davon.«
    Beneš Kejval blickte ihn neugierig an. Als Einziger von den Magiern im »Erzengel« war er kein Mitarbeiter der Universität.
     Ja, er hatte nicht einmal studiert. Die Apotheke hatte er schlicht und einfach geerbt. Aber er war trotzdem ein unvergleichlicher
     Pharmazeut und ein Meister in der Zubereitung von Arzneien, magischen wie gewöhnlichen. Seine Spezialität war ein Aphrodisiakum
     aus zu Pulver zerriebenen Blätterschwämmen, Pinienkernen, Koriander und Pfeffer. Man erzählte sich scherzhaft, dass selbst
     ein Toter nach Einnahme dieses Spezifikums von der Bahre spränge und mit fröhlichen Sprüngen ins Freudenhaus hüpfte.
    |92| »Geht in die untere Kammer, Ihr Herren. Dort sind alle. Sie warten auf Euch.«
    »Und du, Beneš? Gehst du nicht mit?«
    »Ich würde gerne«, seufzte der Apotheker, »aber ich muss im Kontor bleiben. Dauernd kommen Leute. Ich sage dieser Welt nichts
     Gutes voraus, wenn es darin so viele Kranke, Schmerzgeplagte und von Arzneien Abhängige gibt.«
    »Aber vielleicht«, meinte Scharley lächelnd, »ist das nur Hypochondrie?«
    »Dann sage ich dieser Welt noch Ärgeres voraus. Beeilt Euch, Ihr Herren. Ach, Reynevan! Pass auf die Bücher auf.«
    »Ich werde aufpassen.«
     
    Von der Apotheke gelangte man in den Hof. Ein Brunnen, grün vom Moos, erfüllte die Luft mit ungesunder Feuchtigkeit, tapfer
     assistierte ihm dabei ein windschiefer Holunderstrauch, der eine Mauer verbarg und nicht aus der Erde, sondern aus einem Haufen
     fauliger Blätter herauszuwachsen schien. Der Strauch verdeckte wirkungsvoll eine kleine Tür. Der Türrahmen war fast völlig
     von Spinnweben bedeckt, dick und dicht. Es war klar, dass seit Jahren niemand mehr durch diese Tür gegangen war.
     
    »Eine Illusion«, hatte Doktor Svatopluk Fraundinst ruhig erklärt, während er seine Hände in den Kokon von

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