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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Türchen. Für Uneingeweihte, sollten sie es je schaffen, bis hierher vorzudringen, befand sich hinter dem Türchen
     ein kleines Lager voller Kistchen, Fässchen und Fläschchen. Die Eingeweihten hingegen bewegten den im Innern eines Fässchens
     verborgenen Hebel, sprachen eine Formel, und die Wand wich zurück und gab eine dunkle Öffnung frei, der Grabesluft entströmte.
     Diesen Eindruck gewann man zumindest beim ersten Mal.
    Edlinger Brehm, der auf magische Weise eine magische Laterne entzündet hatte, ging voran. Stephan von Drahotuše, Reynevan
     und Scharley folgten ihm über eine Treppe, die sich wie eine Spirale an den Wänden eines düsteren, scheinbar bodenlosen Schachtes
     entlangwand. Von unten her wehte es kalt und feucht.
    Stephan von Drahotuše drehte sich um.
    »Weißt du noch, Reynevan?«
    Es war kein ’ Kemenat in einem Schlosse,
    Dort wo ich war, ein Kerker der Natur,
    Mit schlechtem Boden, finsterem Geschosse.
    |100| »Samson Honig«, meinte Scharley sogleich. »Das heißt, ich wollte sagen: Dante Alighieri. ›Die göttliche Komödie‹. Das poetische
     Lieblingswerk unseres Freundes.«
    »Mit Sicherheit sein Lieblingswerk.« Der Mähre lachte. »Denn nur allzu häufig zitiert er daraus. Auf diesen Stufen ist eurem
     Freund mehr als eine Zeile aus dem ›Inferno‹ eingefallen. Ich sehe, Ihr kennt auch diese Seite von ihm gut.«
    »Am Ende der Welt würde ich ihn daran erkennen.«
     
    Sie stiegen die Treppe nicht bis in die Tiefe hinab, überwanden nur zwei Stockwerke; der Schacht war noch wesentlich tiefer,
     die Stufen verloren sich in schwarzer Dämmerung, aus der das Plätschern von Wasser heraufklang. Die Felsenhöhle, deren Geschichte
     in Vergessenheit geraten war, führte bis zur Moldau hinab. Wer sie wann entdeckt, wer sie und wozu genutzt hatte, wessen Erbe
     das seit Jahrhunderten hier befindliche Anwesen war, das den Eingang zur Höhle barg, wusste niemand mehr. Am ehesten verwies
     es wohl auf keltischen Ursprung – die Wände der Höhle waren von halb verloschenen, moosbewachsenen Reliefs und Zeichnungen
     bedeckt, auf denen charakteristische, geheimnisvoll ineinander verwobene Ornamente und von mäandernden Linien durchschlungene
     Kreise vorherrschten. Hier und da tauchten weniger charakteristische Wildschweine, Hirsche, Pferde und gehörnte Menschengestalten
     auf.
    Edlinger Brehm drückte die massive Tür auf. Sie gingen hinein.
    In der unterirdischen Kammer, die ganz einfach nur die Untere genannt wurde, saßen an einem gedeckten Tisch die übrigen Magier
     des »Erzengels« – Svatopluk Fraundinst, Radim Tvrdik, Jost Dun, Walter von Teggendorf. Und Jan Bezdĕchovský von Bezděchov.
    Jost Dun, genannt Telesma, war wie Stephan von Drahotuše früher Mönch gewesen, das verrieten seine Haare, die, aus der Tonsur
     nachgewachsen, büschelweise unordentlich über den Ohren standen, wodurch der Träger dieser Frisur ein wenig wie |101| ein Kauz aussah. Reynevan wusste, dass Telesma in jungen Jahren das
ora et labora
im Benediktinerkloster von Opatovice befolgt hatte, dort war er auch zum ersten Mal mit den geheimen Wissenschaften in Berührung
     gekommen. Danach hatte er in Heidelberg studiert, wo er sein magisches Wissen vervollkommnete. Er war eine Autorität auf dem
     Gebiet der Talismane, sowohl was die theoretischen Kenntnisse darüber anbelangte, wie auch bei der Herstellung von Amuletten.
     Er erstellte auch recht brauchbare Horoskope, mit denen er handelte; er verkaufte sie an diverse lügnerische Propheten, Pseudoastrologen
     und Möchtegernmagier und verdiente nicht schlecht damit. Neben den Erlösen aus der Apotheke bildeten die Einnahmen Jost Duns
     das finanzielle Fundament der Vereinigung.
    Der schon recht betagte Walter von Teggendorf war ein Absolvent der Universitäten von Wien, Bologna, Coimbra und Salamanca,
     der die
facultas docendi
für all diese Lehranstalten besaß. Ihn zeichnete eine überaus große, beinahe andächtige Ehrfurcht vor der Medizin, der Alchemie
     und der arabischen Magie aus, besonders für Gābir und al-Kindī, also, wie er selbst zu sagen pflegte, für Abū Mūsā ibn Haiy
     ān as Sufi und Abū Yūsuf Yacqūb al-Kindī. Teggendorfs Faszination drückte sich darin aus, wie er an Samsons Fall heranging.
     Seiner Ansicht nach waren die Dschinns an allem schuld. Samson in seiner gegenwärtigen Gestalt sei ein
madjnoun
, also ein Mensch, in dessen Körper ein mächtiger Dschinn einen weniger mächtigen, den er bezwungen hatte, zur Strafe

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