Gottesstreiter
sei sie ausschließlich damit beschäftigt, auf der Bank der Schenke hin und her zu rutschen,
mit den Beinen zu baumeln, mit dem Löffel an die Schüssel zu klopfen, an die Decke zu starren und am Ende ihres Zopfes herumzuzerren.
In Wirklichkeit hatte sie längst bemerkt, dass der Knappe sie ansah, und sich spontan dazu entschieden, darauf zu reagieren.
Indem sie ihm die Zunge herausstreckte.
»So eine Zicke!«, erklärte Spatz angewidert. Parzival gab keinen Kommentar dazu ab. Er war absolut fasziniert. Das Einzige,
was ihn bekümmerte, war das Problem der Verwandtschaftsverhältnisse. Die Rachenaus waren mit den Baruths verwandt, eine Schwester
von Onkel Gawein war anscheinend die Cousine der Tante, welche die Gemahlin von Heinrich dem Kranich war. Bei diesem Verwandtschaftsgrad
benötigte man |155| wahrscheinlich einen Dispens, und mit den Dispensen ging es recht unterschiedlich zu. Parzival hielt das Heiraten für eine
unangenehme Pflicht, wenn nicht gar für eine Strafe, aber jetzt dämmerte es ihm über alle Zweifel hinweg, dass er, wenn schon,
dann tausendmal lieber die blondhaarige Ofka von Baruth haben wollte als die spindeldürre, pickelige Susanna, die ihr Vater,
der alte Albrecht von Hackeborn, Herr auf Priebus, den Rachenaus angedient hatte. Parzival war fest entschlossen, die Hochzeit
so lange hinauszuzögern, wie es ging. Im Laufe der Jahre würde Susanna von Hackeborn höchstens ihre Pickel vermehren können,
während Ofka alle Voraussetzungen dazu mitbrachte, ein Fräulein von großer Schönheit zu werden. Von sehr großer Schönheit ...
Das schöne Fräulein
in spe
, das sich sichtlich über das Interesse, das es erweckt hatte, freute, hielt ihm zunächst die untere Zahnreihe entgegen und
streckte ihm anschließend die Zunge bis zum Kinn heraus. Die Matrone mit der Haube, die neben ihr saß, wies sie scharf zurecht.
Ofka bleckte wieder die Zähne, diesmal die obere Reihe.
»Wie ...«, stotterte Parzival von Rachenau, »wie viele Lenze zählt sie?«
»Was geht mich denn das an?« Spatz räusperte sich. »Und was dich, wo wir gerade dabei sind? Iss endlich deine Grütze auf,
wir müssen weiter. Herr Puta wird zornig, wenn wir nicht rechtzeitig in Glatz eintreffen.«
»Wenn ich nicht irre, habe ich die Ehre mit den edlen Herren, den Rittern Heinrich Baruth und Parzival von Rachenau?«
Sie hoben die Köpfe. Neben ihnen stand ein Priester, hoch gewachsen und grauhaarig. Seine Augen hatten die Farbe von Eisen.
Aber vielleicht schien das nur so, im verrauchten Innern der Schankstube?
»In der Tat«, Parzival von Rachenau nickte, »in der Tat, Pater. Das sind wir. Aber wir sind keine Ritter. Wir haben die Schwertleite
noch nicht empfangen.«
»Aber«, der Priester lächelte, »das ist doch nur eine Frage der |156| Zeit. Und gewiss einer absehbaren. Die Herren gestatten, ich bin Pater Schlossknecht, ein Diener Gottes ... Ach, ist das eine Kälte heute ... Da sollte man heißen Würzwein trinken ... Würden die Herren Ritter mir die Ehre erweisen und mir gestatten, auch für Sie ein Becherchen zu holen? Hättet Ihr Lust?«
Spatz und Parzival sahen sich an und schluckten. Lust hatten sie schon, und zwar große. Nur mit dem Geld sah es schlecht aus.
»Pater Schlossknecht, ein Diener Gottes.« Der Priester stellte sich noch einmal vor, als er die Becher zu ihnen an den Tisch
brachte. »Jetzt am Brieger Kollegiat. Früher Kaplan des Ritters Otto von Kauffung, der Herr sei seiner Seele gnädig ...«
»Der Kaplan des Herrn von Kauffung!« Parzival von Rachenau wandte den Blick von Ofka von Baruth und verschluckte sich fast
an dem heißen Würzwein. »Beim Haupte des heiligen Tiburtius! Der ist, im Kampf schwer verwundet, in meinen Armen gestorben!
Vor zwei Jahren war das, im September in den Gallenauer Wäldern! Ich war bei jenem Zug, der von Briganten überfallen wurde!
Als die Banditen zwei Fräulein geraubt haben, Fräulein von Biberstein und Fräulein von Apolda. Um sie dann beide später zu
schänden, diese Gottlosen!«
»Barmherziger Gott«, der Priester faltete die Hände, »unschuldige Fräulein geschändet? Wie viel Böses es doch in der Welt
gibt ... wie viel Sünde ... Wer tut denn so etwas?«
»Raubritter. Ihr Anführer war Reinmar Bielau, ein Lump und Hexer.«
»Ein Hexer? Unglaublich!«
»Ihr werdet es schon glauben, wenn ich es Euch erzähle. Mit eigenen Augen habe ich es gesehen ... Und gehört habe ich auch vieles
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