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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Nase mit der Manschette seines Handschuhs.
     Der eisenäugige Priester schenkte all dem keinerlei Beachtung. Elend und Leid machten keinen Eindruck auf ihn und hatten schon
     lange aufgehört, ihn zu interessieren.
    Sie mussten warten. Das Mädchen, zu dem sie gekommen waren, war in der Armenhausküche beschäftigt.
    Aus der Küche stank es.
    Es dauerte ein Weilchen, bis sie zu ihnen kam.
    Das also ist Elencia von Stietencron, dachte der Eisenäugige. Nicht sehr anziehend. Gebückt, grau, mit dünnen Lippen. Mit
     wässrigen Augen. Mit Haaren, die ein Gebende und eine Haube barmherzig verbargen. Mit wild wachsenden, einst modisch gezupften
     Augenbrauen.
    Elencia von Stietencron, die das Massaker überlebt hatte, bei dem sechzehn Männer getötet worden waren. Die die Einzige war,
     die es überlebt hatte. Männer, sogar Soldaten, hatten ihr Leben lassen müssen. Ein gebückt gehendes hässliches Frauenzimmer
     hat überlebt. Diese Schlussfolgerung ergab sich von selbst. Das gebückt gehende hässliche Frauenzimmer ist kein gewöhnliches
     gebückt gehendes hässliches Frauenzimmer.
    »Edles Fräulein von Stietencron   ...«
    »Ich bitte, mich nicht so zu nennen.«
    »Hmm   ... Fräulein Elencia   ...«
    Elencia. Ein außergewöhnlicher Name. Selten anzutreffen. Tybald hatte dessen Herkunft herausgefunden – diesen Namen hatte
     die Tochter Władysławs, des Herzogs von Beuthen, getragen. Hartwig von Stietencrons Großvater, der dem Herzog von Beuthen
     diente, hatte einer seiner Töchter diesen Namen gegeben. Eine Tradition war eröffnet. Hartwig hatte seine einzige Tochter
     der Tradition gemäß getauft.
    Er machte Tybald Raabe ein Zeichen. Der Goliarde räusperte sich.
    |188| »Mein Fräulein«, sagte er dann ernst. »Ich habe Euch bereits beim letzten Mal darauf hingewiesen. Wir müssen Euch einige Fragen
     stellen. Sie betreffen   ... den Steubernhau   ...«
    »Ich will nicht darüber reden. Ich will nicht mehr daran denken.«
    »Ihr müsst!«, entgegnete der Eisenäugige hart, zu hart. Das Mädchen krümmte sich zusammen, als hätte er sie schlagen wollen
     oder mit der Faust bedroht.
    »Ihr müsst!« Der Priester schlug einen sanfteren Ton an. »Es geht um Leben und Tod. Wir müssen es wissen. Der junge Edelmann,
     der sich Eurem Zug zwei Tage vor dem Überfall anschloss und kurz darauf den Zug wieder verließ – war er unter denen, die am
     Steubernhau den Überfall verübt haben? Fräulein Elencia! War Reinmar von Bielau unter den Angreifern?«
    »Der junge Edelmann«, erklärte ihr Raabe, »den Sie als Reinmar von Hagenau kennen, Fräulein.«
    »Reinmar Hagenau   ...«, Elencia Stietencrons Augen weiteten sich, »das   ... war   ... Reinmar von Bielau?«
    »Derselbe«, antwortete der Eisenäugige, seine Ungeduld bezähmend. »Hast du ihn wiedererkannt? War er unter den Angreifern?«
    »Nein! Natürlich nicht   ...«
    »Warum natürlich?«
    »Weil   ... weil er   ...«, das Mädchen begann zu stottern und blickte Tybald flehend an. »Er würde doch nie   ... Herr Raabe   ... Über Reinmar von Bielau   ... gehen Gerüchte um   ... er hätte   ... der Tochter von Herrn von Biberstein   ... etwas angetan   ... Herr Raabe! Das kann einfach nicht wahr sein!«
    Faszination, dachte der Eisenäugige und unterdrückte eine Grimasse. Die Faszination eines hässlichen Frauenzimmers, das in
     seinen Traum verliebt ist, in ein Bild, in eine Strophe aus dem ›Tristan‹ oder dem ›Erec‹. Noch eine, die sich in diesen Bielau
     verguckt hat. Noch eine in seiner Sammlung. Was finden die bloß an ihm? Ich fress einen Besen, wenn ich die Frauen je verstehen
     werde.
    |189| »Also war Reinmar von Bielau nicht unter jenen Angreifern?«, vergewisserte er sich.
    »Nein.«
    »Gewiss nicht?«
    »Gewiss nicht. Ich hätte ihn doch erkannt.«
    »Trugen jene Angreifer schwarze Rüstungen und Mäntel? Haben sie
Adsumus,
also ›Hier sind wir‹, gerufen?«
    »Nein.«
    »Nein?«
    »Nein.«
    Sie schwiegen. Einer der Elenden begann plötzlich zu weinen. Eine Pflegerin beruhigte den Weinenden, eine füllige Nonne im
     Habit der Klarissen.
    Der Eisenäugige wandte weder den Kopf noch die Augen.
    »Fräulein Elencia. Weiß deine Mutter   ... deine Stiefmutter   ... Weiß die Witwe deines Vaters, dass du hier bist?«
    Das Mädchen verneinte mit einem Kopfschütteln, seine Lippen zitterten merklich. Der Eisenäugige wusste, warum. Tybald Raabe
     hatte sich erkundigt und die Wahrheit herausgefunden. An jenem für ihn so

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