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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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die Zukunft und die Hoffnung der Welt. Das, was wir tun, tun wir auch und gerade für
     sie.«
    »So dachte ich auch einmal.«
    »Und jetzt?«
    Der Eisenäugige antwortete nicht. Mit seinen im Ärmel der Jacke vergrabenen Fingern berührte er das Messer, das in der Scheide
     steckte, die am Unterarm befestigt war.
     
    »Man hat dich verraten«, wiederholte Tybald Raabe ungeduldig, weil er es langsam müde wurde, ständig alles zu wiederholen,
     »man hat dich verkauft. Sie haben dich als Köder verwendet. Dir droht der Tod. Du musst sofort weg von hier. Verstehst du,
     was ich sage?«
    Diesmal, diesmal erst bestätigte Elencia von Stietencron durch ein Nicken, dass sie ihn verstanden hatte, in ihren weit aufgerissenen
     blauen Augen glomm tatsächlich etwas auf. Tybald räusperte sich.
    »Geh nicht ins Haus zurück«, sagte er mit Nachdruck. »Unter gar keinen Umständen. Verabschiede dich von keinem, sag niemandem
     ein Wort. Ich habe dir ein Pferd mitgebracht, einen Braunen, er steht hinter der Wäscherei des Spitals. In den Satteltaschen
     ist alles, was du unterwegs brauchst. Spring in den Sattel und reite los, sofort. Es tut nichts, dass es bald Nacht wird.
     Du wirst unterwegs sicherer sein als hier in Münsterberg. Reite nicht nach Strehlen zu den Nonnen, denn auf dem Weg, der dorthin
     führt, suchen sie dich bestimmt. Reite nach Frankenstein und nimm von dort aus die große Straße bis kurz vor Breslau. Wende
     dich dann nach Lohbrück zur Zollstation. Dort wird dir jeder den Weg nach Schalkau weisen, frag nach dem Gestüt der Frau Dzier
     żka de Wirsing. Frau Dzier żka kennt dieses Pferd, sie wird wissen, dass ich dich geschickt habe. Dann erzählst du ihr alles.
     Hast du verstanden?«
    Wieder ein Nicken.
    »Bei Dzier żka   ...«, der Goliarde blickte sich unruhig um, |200| »bei Dzier żka bist du in Sicherheit. Später, wenn sich alles ein bisschen beruhigt hat, bringe ich dich nach Polen. Wenn
     du es dir wirklich so sehr wünschst, kannst du Klarissin werden. Aber in Stary Sącz oder in Zawichost. Polen ist zwar nicht
     Schlesien, aber dort ist es auch schön. Du wirst dich eingewöhnen. Aber jetzt leb wohl. Gott mit dir, Mädchen!«
    »Und mit Euch«, wisperte sie.
    »Denke daran, nicht zurück nach Hause, sondern gleich auf den Weg!«
    »Ich denke daran.«
    Der Goliarde verschwand in der Dämmerung, genauso plötzlich, wie er aufgetaucht war. Elencia von Stietencron nahm langsam
     ihre Schürze ab. Sie blickte aus dem Fenster, hinter dem die Nacht schon fast alles verwischte; fast alle Konturen der bewaldeten
     Höhenzüge waren bereits verschwunden.
    Sie nahm einen Mantel aus der Kleiderkammer und band sich ein Tuch um den Kopf. Dann rannte sie los. Aber nicht zur Wäscherei
     hinterm Graben. Sie lief in die entgegengesetzte Richtung.
    In der kleinen Kammer über dem Siechhaus, in der sie wohnte, gab es nichts, was sie mitnehmen wollte. Nichts, was sie ihr
     Eigen nennen konnte. Nichts, was sie mit Bedauern zurückgelassen hätte.
    Außer dem Kätzchen.
    Die Warnung des Goliarden nahm sie ernst. Sie begriff, was Gefahr bedeutete. Sie begriff, woher diese kam, erinnerte sich
     an die eisenfarbenen Augen des Priesters, der sie ausgefragt hatte, erinnerte sich an die Angst, die er in ihr hervorgerufen
     hatte. Aber es dauert doch nur einen Moment, dachte sie, nur einen Moment, ich hole nur die Katze, nichts weiter, was soll
     mir schon geschehen, das ist doch nur ein Moment   ...
    »Miez – miez   ... Miez – miez   ...«
    Das Fenster war angelehnt. Sie ist hinausgelaufen, dachte sie mit wachsendem Erschrecken, sie ist wie jeden Abend hinausgelaufen,
     so, wie sie es gewohnt ist   ... Gleich finde ich sie   ...
    |201| »Miez – miez – miez   ...« Sie sprang auf das Podest und verhedderte sich in den dort aufgehängten Bettlaken. »Kätzchen   ... Kätzchen!«
    Sie lief die Treppe hinunter. Und spürte sofort, dass etwas nicht so war, wie es sein sollte. Die kalte Nachtluft wurde plötzlich
     noch kälter, die Kälte drückte ihr die Kehle zu. Diese Kälte war nicht klar und erfrischend, sondern schwer und dick wie Schleim,
     wie geronnenes Blut. Sie war plötzlich erfüllt mit Bösem, undurchdringlich und zähflüssig.
    Drei Schritte vor ihr sank ein Vogel zu Boden. Ein riesiger Mauerläufer.
    Elencia schien es, als wäre sie am Boden festgewachsen, als wäre sie mit der Erde verwurzelt. Sie konnte sich nicht bewegen,
     sie konnte nicht einmal zittern. Auch nicht, als der Mauerläufer

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