Gottesstreiter
du die Behandlung auch richtig
genießen kannst.«
»Und wer löst dann das Problem mit dem unbequemen Zeugen?« Der Mauerläufer lächelte spöttisch. »Wer lockt Reinmar von Bielau
nach Schlesien und fängt ihn dort ein?«
»Ja eben!« Der Bischof schlug den Mantel zurück und kratzte sich an seiner behaarten Wade. »Da reden wir und reden, führen
Wortgefechte, und das Wichtigste läuft uns davon. Erledige diese Angelegenheit, mein Sohn. Dieser Zeuge muss verschwinden.
Spurlos. Wie der, den Hejncze vor zwei Jahren aus dem Narrenturm herausgeholt hat.«
»Wird erledigt.«
»Und Reinmar Bielau?«
»Wird auch erledigt.«
»Dann lass uns darauf trinken. Gib den Becher her. Aber koste zuerst einmal, was das für ein Bukett ist! Moldauer! |197| Sechs Fässchen davon habe ich als Handsalbe erhalten. Für das Amt eines Scholastikers in Liegnitz.«
»Handsalbe bei der Vergabe von Pfründen? Das ist aber gar nicht nett, Väterchen.«
»Nur Hosenscheißer geben keine Handsalbe, weil’s bei ihnen dazu nicht reicht. Soll ich vielleicht Hosenscheißer auf Kirchenposten
setzen? Was? Wo wir schon mal dabei sind, möchtest du vielleicht ein Kirchenamt, Grellenort?«
»Nein, Bischof, das will ich nicht. Der Klerus ekelt mich an.«
Der Eisenäugige hat seine Kleidung abermals gewechselt, stellte Wendel Domarask fest, er hat seine ganze Erscheinung verändert.
Statt der Kutte, des Habits oder des gefütterten Patrizierwamses trug er heute eine kurze lederne Jacke, eine enge Hose und
hohe Stiefel. Er trug, soweit man sehen konnte, keine Waffe bei sich, dennoch sah er wie ein Söldner aus. Diese Verkleidung
schützte ihn hinreichend – in Schlesien wimmelte es in letzter Zeit nur so von Söldnern. Die Nachfrage nach Leuten, die mit
dem Schwert umgehen konnten, war groß.
»In Bälde werde ich meine Aufgabe erfüllen«, begann der Eisenäugige. »Wenn ich damit fertig bin, verschwinde ich sofort. Deshalb
möchte ich mich heute schon von Euch verabschieden.«
»Möge Gott Euch geleiten.« Der
magister scholarum
faltete die Hände. »Auf Wiedersehen in besseren Zeiten.«
»Geb’s Gott. Ich habe noch eine letzte Bitte.«
»Betrachtet sie als erfüllt.«
»Ich wusste es zwar, aber nun habe ich mich selbst davon überzeugen können, dass Ihr ein Meister der Konspiration seid. Dass
Ihr es versteht, etwas zu verbergen, was verborgen bleiben soll. Ich gehe wohl nicht fehl, wenn ich denke, Ihr könnt auch
das Gegenteil bewirken?«
»Bewirken, dass ein Geheimnis aufhört, eines zu sein? Informieren und gleichzeitig desinformieren?«
|198| »Ihr lest meine Gedanken.«
»Um wen oder was geht es dabei?«
Der Eisenäugige erklärte es ihm. Wendel Domarask schwieg lange. Dann versicherte er, es zu tun. Aber nicht mit Worten. Sondern
mit einem Nicken.
Durch das geöffnete Fenster drang der Chor der Stimmen der Schüler der Oppelner Kollegiatschule nach draußen, die den Anfang
der ›Metamorphosen‹ rezitierten.
Aurea prima sata est aetas, quae vindice nullo,
sponte sua, sine lege, fidem rectumque colebat.
Poena metusque aberant, nec verba minantia fixo
aere legebantur, nec supplex turba timebat
iudicis ora sui, sed erant sine vindice tuti.
»Mit Weisheit hat dies der große Ovid geschrieben«, beendete der Eisenäugige sein langes Schweigen, nachdem er den Worten
der Schüler gelauscht hatte. »Golden war das erste Zeitalter, der ewige Weltenfrühling. Aber dieses Zeitalter kehrt nicht
mehr wieder. Nach ihm ist schon das silberne Zeitalter verronnen, auch das bronzene. Jetzt ist das vierte Zeitalter heraufgezogen,
das letzte Zeitalter, das des harten Eisens,
de duro est ultima ferro.
Das letzte Zeitalter ist das des Blutvergießens und der Vernichtung. Die Seuche aller Verbrechen ist über die Welt gekommen.
Glauben und Wahrheit sind vor Krieg, Mord und Feuersbrünsten geflohen. Verrat und Gewalt triumphieren. Entsetzt über das,
was geschieht, verlässt Astrea, die letzte der Göttinnen, die Erde. Und wenn die Götter verschwunden sind ... Was dann? Die Sintflut?«
»Nein«, widersprach ihm Wendel Domarask, »es wird keine Sintflut geben. Und dieses wird auch nicht das letzte Zeitalter sein.
Eine Garantie dafür sind wohl auch jene Schlingel, die Ovid auswendig lernen. Wir, die Menschen der Dämmerung, die Menschen
der Gewalt und des Verrats, wir werden mit dem Zeitalter des blutigen Stahls verschwinden, das ist wohl wahr. |199| Aber sie werden übrig bleiben. Sie sind
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