Gotteszahl
die Yngvar aus dem Badezimmer geholt hatte, und schenkte schweigend ein, dann reichte er es seinem Freund.
»Danke.«
Sigmund füllte auch für sich ein Glas. »Herdis«, wiederholte er zufrieden, als wäre es schon der pure Genuss, ihren Namen zu erwähnen, »Herdis Vatne ist Professorin der Astrophysik.«
»Prrrr …«
Yngvar bespuckte sich und das Bett mit Whisky. »Was hast du gesagt? Was in aller Welt hast du da gesagt?«
Sigmund setzte sich gerade und verzog beleidigt das Gesicht. »Du hast wohl nicht geglaubt, dass ich eine Akademikerin an Land ziehen kann? Das Problem bei dir ist, dass du so verdammt viele Vorurteile hast. Diese Neger, die du um jeden Preis verteidigen musst. Auch wenn sie in fast jeder Verbrechensstatistik überrepräsentiert sind, laberst du immer herum, wie schwer sie es haben und …«
»Hör auf«, sagte Yngvar. »Und benutz dieses Wort nicht.«
»Das ist auch ein Vorurteil, weißt du das? Immer das Beste über Leute glauben, nur weil sie zu einer bestimmten Gruppe gehören. Jedem einzelnen weißen Penner, den wir festnehmen, misstraust du sofort, aber wenn er nur ein bisschen dunklere Haut hat, erzählst du uns, wie nett er vermutlich ist und wie …«
»Hör auf! Das ist mein Ernst!«
Sigmund zögerte, dann fügte er mürrisch hinzu: »Du glaubst jedenfalls nicht, dass ich mir eine Frau gesucht habe, die an der Universität arbeitet. Auf jeden Fall findest du es komisch. Das nenne ich wirklich ein Vorurteil. Und es ist ganz schön verletzend, um mal ehrlich zu sein.«
»Entschuldige«, sagte Yngvar. »Tut mir leid, Sigmund. Ich freue mich natürlich für dich. Hast du …«
Er zeigte auf Sigmunds Mobiltelefon.
»Hast du Bilder von ihr?«
»Ja, klar doch.«
Sigmund machte sich am Telefon zu schaffen und fand das Gesuchte. Mit breitem Grinsen hielt er es Yngvar vor die Augen. »Tolle Frau. Klug und hübsch. Fast wie Inger Johanne.«
Yngvar nahm das Telefon und sah sich das Bild an. Eine blonde Frau von Mitte vierzig starrte ihn mit strahlendem Lächeln an. Ihre Zähne waren weiß und gleichmäßig, ihre Nase zeigte pikant nach oben. Sie war offenbar sehr schlank, denn selbst in dem kleinen Display konnte er sehen, dass ihre Lachfältchen ziemlich tief waren und dass sich von jedem Mundwinkel aus eine Furche zum Kinn hinunterzog. Ihre Augen waren blau und ein wenig zu stark geschminkt.
Sie sah aus, wie eine norwegische Frau von Mitte vierzig eben aussieht.
»Ich muss schon sagen«, murmelte er und reichte das Telefon zurück.
»Ich wollte es euch am Samstag erzählen, aber dann ist Inger Johanne ja einfach ins Bett gegangen. Und dann wollte ich doch noch warten, weil Herdis gestern zum ersten Mal meine Jungs getroffen hat. Na ja, eigentlich kennt sie sie schon länger, ihr Sohn spielt mit Snorre Hockey. Die sind gute Kumpels. Aber ich musste doch sehen, wie es ist … wenn wir uns privat treffen. Alle zusammen. Kann keine Frau haben, die meine Jungs nicht mag, weißt du. Und umgekehrt.«
»Und es ist offenbar gut gegangen?«
»Jepp. Hätte nicht besser sein können. Wir waren im Kino und haben danach bei Herdis gegessen. Sie hat eine super Wohnung. Groß und toll. In Frogner. Ich kam mir fast vor wie ein Fremder, auf dieser Seite der Stadt. Aber schön ist es da, das muss ich zugeben.«
Er schmatzte zufrieden mit seinem Whisky. »Die Liebe ist etwas Schönes«, sagte er feierlich.
»Wie wahr.«
Sie leerten die großzügig vollgeschenkten Gläser zur Hälfte. Yngvar spürte, wie ihn die Müdigkeit überkam, er schloss die Augen und zuckte zusammen, als ihm fast das Glas aus der Hand gefallen wäre.
»Wie denkst du jetzt über unser Mädel?«, fragte Sigmund.
»Wen meinst du? Herdis?«
»Idiot. Eva Karin Lysgaard.«
Yngvar gab keine Antwort. Sie hatten den Tag mit dem Versuch verbracht, ein System in die riesige Menge von Unterlagen zu ihrem Fall zu bringen. Die Bischöfin war vor zwanzig Tagen erstochen worden, und im Grunde war die Polizei in Bergen der Lösung keinen Schritt näher gekommen. Man konnte ihnen deshalb keine Vorwürfe machen, dachte Yngvar, er tappte schließlich genauso im Dunkeln. Die Zusammenarbeit war bisher problemlos verlaufen. Anfangs hatte Yngvar die wichtigsten Zeugen vernommen, während Sigmund eher als Verbindungsmann zwischen der Kripo und dem Polizeibezirk Hordaland fungiert hatte. Diese Rolle spielte er mit Bravour. Man würde schwerlich einen jovialeren Allrounder finden als Sigmund Berli, und es gab kaum einen Konflikt, den
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